Nachfolgend ein Beitrag vom 11.12.2015 von Höger, jurisPR-BGHZivilR 22/2015 Anm. 4
Leitsätze

1. Zur Reichweite der Verjährungshemmung und zu den Anforderungen an die Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs in Bezug auf Güteanträge in Kapitalanlageberatungsfällen (Bestätigung der Senatsurteile v. 18.06.2015 – III ZR 303/14 und III ZR 198/14).
2. Bei Güteanträgen kann auf Schriftstücke, die der Individualisierung des verfolgten Anspruchs dienen, nur dann zurückgegriffen werden, wenn sie im Güteantrag erwähnt und dem Antrag beigefügt worden sind.

A. Problemstellung

Die Entscheidung ist die jüngste aus einer ganzen Reihe von Urteilen des III. Zivilsenats des BGH zur verjährungshemmenden Wirkung eines Güteantrags nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB und den insoweit bei Anlageberatungsfällen zu stellenden Anforderungen an die Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung im Zusammenhang mit seiner im Jahre 1993 erworbenen Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds. Wie viele andere Anleger auch, dürfte der Kläger von der durchaus extensiven „Werbung“ durch sog. Anlegerkanzleien im Hinblick auf die zum Jahresende 2011 (genauer: mit Ablauf des 02.01.2012) drohende Ultimoverjährung von Altansprüchen nach Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB i.V.m. § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB angesprochen worden sein.
Nachdem die Beklagte eine außergerichtliche Einigung abgelehnt hatte und sich der Kläger nicht zur rechtzeitigen Klageerhebung entschließen konnte, sollte zunächst mit einem Güteverfahren wenn nicht eine abschließende Regelung, so doch zumindest eine Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB herbeigeführt werden. Zu diesem Zweck reichten die instanzgerichtlichen Bevollmächtigten am 28.12.2011 für den Kläger bei einer staatlich anerkannten Gütestelle einen Güteantrag ein. Dieser Güteantrag war, wie viele andere auch, aufgrund des zum Jahresende 2011 angefallenen Massengeschäfts „mit heißer Nadel gestrickt“ und inhaltlich eher kurz und pauschal gehalten (vgl. Rn. 4 der Entscheidung).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, weil die behaupteten Schadensersatzansprüche verjährt seien. Dabei hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass durch einen Güteantrag die Verjährung nur insoweit gehemmt werden würde, als die jeweiligen Pflichtverletzungen darin konkret benannt seien und hier in Bezug auf die nicht genannten Beratungspflichtverletzungen deshalb kenntnisunabhängig Verjährung eingetreten sei. Hinsichtlich der im Güteantrag genannten Pflichtverletzungen sei ein etwaiger Schadensersatzanspruch nach den §§ 199 Abs. 1, 195 BGB bereits mit Ablauf des Jahres 2004 verjährt, weil beim Kläger jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände vorgelegen hätte. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte zwar Erfolg und führte zur Revisionszulassung. Die Revision wurde indes zurückgewiesen, weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aus anderen Gründen als richtig erwies.
Das Berufungsgericht habe bei seiner Entscheidung die nach der Rechtsprechung des BGH gebotene Differenzierung zwischen dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch und dem einzelnen materiell-rechtlichen Anspruch verkannt. Danach sei für die Frage der Verjährungshemmung durch Rechtsverfolgungsmaßnahmen nach § 204 Abs. 1 BGB nicht auf den einzelnen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern den prozessualen Anspruch abzustellen (Rn. 15, m.w.N.). Dieser erfasse alle materiell-rechtlichen Ansprüche (für die die Verjährung für abgrenzbare Pflichtverletzungen allerdings jeweils gesondert zu beurteilen sei), die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten ließen, in Anlageberatungsfällen folglich sämtliche Pflichtverletzungen eines zu einer Anlageentscheidung führenden einheitlichen Beratungsvorgangs (unabhängig davon, ob diese Pflichtverletzungen vorgetragen worden seien oder nicht).
Die Entscheidung des Berufungsgerichts sei aber im Ergebnis richtig, weil die geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen Ablaufs der kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB insgesamt verjährt seien, da der Güteantrag nicht den Anforderungen an die nötige Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB genüge (Rn. 16 bis 21). Aus dem vorherigen Schriftverkehr zwischen den Parteien ergebe sich nichts anderes. Anders als ein Mahnantrag könne ein Güteantrag auch nicht durch nur in Bezug genommene Urkunden ergänzt werden. Vielmehr könne bei Güteanträgen auf Schriftstücke, die der Individualisierung des verfolgten Anspruchs dienten, nur dann zurückgegriffen werden, wenn diese im Güteantrag genannt und diesem Antrag beigefügt worden seien (Rn. 21).
C. Kontext der Entscheidung
Zum Jahresende 2011 wurden aufgrund der erstmals drohenden Ultimoverjährung des § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB gerade in Anlageberatungsfällen viele Tausende Güteanträge gestellt, mit denen wohl in erster Linie der Zweck der Verjährungshemmung verfolgt werden sollte. Aufgrund des damit verbundenen Massengeschäfts (insbesondere bei sog. Anlegerkanzleien) wurden dabei häufig die nötigen Substantiierungsanforderungen verkannt, was dann allerdings einer verjährungshemmenden Wirkung des Güteantrags entgegensteht.
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH hat der Güteantrag in Anlageberatungsfällen regelmäßig die konkrete Kapitalanlage zu bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum anzugeben und den Hergang der Beratung (wann? durch wen? wie und welcher Inhalt?) mindestens im Groben zu umreißen; ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest so weit zu umschreiben, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist (Rn. 17; BGH, Beschl. v. 24.09.2015 – III ZR 363/14, Rn. 12, 13; BGH, Urt. v. 20.08.2015 – III ZR 373/14 – WM 2015, 1807 Rn. 21-23; BGH, Urt. v. 18.06.2015 – III ZR 198/14 – WM 2015, 1319, Ls. zu 3). In Bezug auf den letztgenannten Punkt ist anzugeben, ob der vollständige Zeichnungsschaden (und zwar: mit oder ohne etwaiger Finanzierungskosten?) oder nur ein Differenzschaden begehrt wird (dazu BGH, Urt. v. 18.06.2015 – III ZR 198/14 Rn. 28), damit für die Gütestelle und den Anspruchsgegner zumindest die Größenordnung der geltend gemachten Ansprüche erkennbar wird (dazu insbesondere BGH, Urt. v. 20.08.2015 – III ZR 373/14 Rn. 22). Etwaige abzuziehende Ausschüttungen oder sonstige mit der Anlage verbundene Vermögensvorteile sind deshalb anzugeben und abzuziehen (BGH, Urt. v. 20.08.2015 – III ZR 373/14 Rn. 22). Auch soll darauf hinzuweisen sein, ob das eingebrachte Beteiligungskapital fremdfinanziert war, so dass ein etwaiger Schaden auch in den aufgebrachten Zins- und Tilgungsleistungen bestand (Rn. 18; BGH, Beschl. v. 03.09.2015 – III ZR 347/14 Rn. 18). Die Angabe, man wolle so gestellt werden, als hätte man die Beteiligung nicht gezeichnet, genügt daher nicht (Rn. 18; BGH, Beschl. v. 24.09.2015 – III ZR 363/14 Rn. 13; BGH, Beschl. v. 03.09.2015 – III ZR 347/14).
In der hier besprochenen Entscheidung wird zudem betont, dass der Hinweis, dem Anspruchsgegner lägen Unterlagen vor, aus denen sich Weiteres zu Grund und Höhe des Anspruchs ergebe, nicht durchgreift, weil sich der Güteantrag ja in erster Linie an die Gütestelle richtet, nämlich mit dem Ziel, dass diese als neutraler Schlichter und Vermittler im Sinne einer gütlichen Einigung zwischen den Anspruchsparteien tätig wird (Rn. 21). Maßgebend für die Individualisierung ist deshalb nicht nur die Perspektive des Antragsgegners, sondern gerade auch die Sicht der Gütestelle, die zur Wahrnehmung ihrer Funktion ausreichend über den Gegenstand des Verfahrens informiert werden muss (BGH, Beschl. v. 03.09.2015 – III ZR 347/14 Rn. 16; BGH, Urt. v. 18.06.2015 – III ZR 198/14 Rn. 24).
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Veranlassung der Bekanntgabe des Güteantrags i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB (wobei für den Zeitraum zwischen Einreichung und Veranlassung der Bekanntgabe die Grundsätze des § 167 ZPO entsprechend heranzuziehen sind, vgl. BGH, Urt. v. 22.09.2009 – XI ZR 230/08 – BGHZ 182, 284 Rn. 14) die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs wegen fehlerhafter Anlageberatung nur dann hemmt, wenn der Güteantrag die formalen Anforderungen erfüllt, die von den für die Tätigkeit der jeweiligen Gütestelle maßgeblichen Verfahrensvorschriften gefordert werden (BGH, Urt. v. 20.08.2015 – III ZR 373/14 Rn. 15, 16, m.w.N.; BGH, Urt. v. 22.02.2008 – V ZR 88/07 Rn. 10). Erfüllt er diese formalen Voraussetzungen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist nicht, scheidet eine Verjährungshemmung aus. Eine Nachbesserung des Güteantrags, etwa durch nachträgliche Vorlage von Unterlagen, hat daher hinsichtlich der Verjährung keine Rückwirkung (BGH, Urt. v. 22.02.2008 – V ZR 86/07 Rn. 15).
Die Anforderungen an einen (hinreichend individualisierten) Güteantrag sind daher jedenfalls für den Fall, dass diesem verjährungshemmende Wirkung (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB) zukommen soll, streng.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der BGH hat bereits mit seiner Pressemitteilung (Nr. 100/2015) zu der ersten Entscheidungsserie vom 18.06.2015 zur verjährungshemmenden Wirkung eines Ende 2011 gestellten Güteantrags in Anlageberatungsfällen darauf hingewiesen, dass sich nach dieser Grundsatzentscheidung „eine große Zahl derzeit laufender Klagen von Kapitalanlegern als unbegründet“ erweise, weil die damit geltend gemachten Ansprüche jedenfalls verjährt seien.
Die eher strenge Handhabung der Voraussetzzungen einer Anspruchsindividualisierung für die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist grundsätzlich richtig und zu begrüßen. Denn sie erleichtert die Arbeit der Gütestellen und korrespondiert mit dem originären Sinn und Zweck der Güteverfahren. Das Güteverfahren hat nämlich primär das Ziel einer abschließenden Schlichtung ohne Anrufung der Gerichte und nicht das Ziel einer bloßen Verjährungshemmung als Zeitgewinn vor Anrufung der Gerichte. Deshalb muss die Gütestelle sogleich hinreichend individualisiert über die zu beurteilenden Sach- und Streitfragen informiert werden.
Ob dagegen die bisweilen sehr strenge Handhabung der Anforderungen an die Darlegung des mit dem Güteverfahren verfolgten Verfahrensziels und damit letztlich der Darlegung der Schadenshöhe (dazu Rn. 18; BGH, Urt. v. 20.08.2015 – III ZR 373/14 Rn. 22) gerechtfertigt ist, mag hier dahingestellt bleiben. Im Klageverfahren wäre insoweit eine nachträgliche Substantiierung der Schadenshöhe möglich, ohne dass sich dies auf die verjährungshemmende Wirkung der Klage auswirken würde, weshalb durchaus fraglich erscheint, ob für das Güteverfahren strengere Maßgaben gelten sollten. Das BVerfG hat jedenfalls die ersten Entscheidungen des BGH vom 18.06.2015 (III ZR 198/14; III ZR 191/14; III ZR 227/14; III ZR 189/14) durch Nichtannahme der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerden „abgesegnet“ (BVerfG, Beschl. v. 10.09.2015 – 1 BvR 1817/15 u.a.).
Fest steht vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung jedenfalls, dass sich die eingangs genannten sog. Anlegerkanzleien künftig in einer Vielzahl von Fällen in der kuriosen Situation befinden werden, dass sie sich in den auf die jeweiligen Ausgangsverfahren folgenden Anwaltsregressprozessen (für die sich schon andere Anlegerkanzleien positioniert haben) auf den Standpunkt stellen werden müssen, dass die mit den Güteanträgen und den nachfolgenden Anlegerklagen verfolgten Schadensersatzansprüche unbegründet gewesen seien, weil die jeweilige Beratung ordnungsgemäß gewesen sei oder es an der Kausalität der Beratungspflichtverletzung für den Anlageentschluss gefehlt habe und deshalb kein Schaden entstanden sei. Am Vorliegen eines schuldhaften Anwaltsfehlers durch Einreichung eines unsubstantiierten Güteantrags dürfte nämlich kein Zweifel bestehen. Man darf gespannt sein.