Nachfolgend ein Beitrag vom 22.12.2015 von Fortmann, jurisPR-HaGesR 12/2015 Anm. 6

Leitsätze

1. Die mit der Einleitung eines Güteverfahrens verbundene Hemmungswirkung erfasst den Streitgegenstand insgesamt und somit auch alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die zum Streitgegenstand gehören. Demgemäß erstreckt sich, wenn der Streitgegenstand der Schadensersatzklage eines Anlegers hinreichend individualisiert ist, die Hemmungswirkung auf alle im Rahmen der Anlageberatung unterlaufenen Beratungsfehler und nicht nur auf solche Pflichtverletzungen, die der Anleger zur Begründung seines Schadensersatzbegehrens im Güteantrag aufgeführt hat (im Anschluss an BGH, Urt. v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12 – BGHZ 198, 294; Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12 – BGHZ 203, 1).
2. Zu den Anforderungen an die erforderliche Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs in einem Güteantrag nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB.
3. Der Güteantrag hat in Anlageberatungsfällen regelmäßig die konkrete Kapitalanlage zu bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum anzugeben und den Hergang der Beratung mindestens im Groben zu umreißen; ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner (und der Gütestelle) ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist.

A. Problemstellung

Wenn Ansprüche kurzfristig zu verjähren drohen und aufgrund der Komplexität und/oder des Umfangs der Angelegenheit die Zeit für die Fertigung einer Klageschrift fehlt, kann eine Verjährungshemmung auch durch die Einleitung eines Güteverfahrens erreicht werden. Das Güteverfahren wird teilweise aufgrund der günstigeren Kosten dem gerichtlichen Mahnverfahren vorgezogen. Die vorliegende Entscheidung des BGH befasst sich mit der Frage, welchen Inhalt der Güteantrag des Anspruchsstellers haben muss, damit die Hemmungswirkung durch diesen eintritt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In dem der BGH-Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um Schadensersatzansprüche aufgrund (angeblich) fehlerhafter Kapitalanlageberatung. Die Kläger haben, um eine Hemmung der Verjährung ihrer Ansprüche zu erreichen, einen „Mustergüteantrag“ vor Verjährungseintritt gestellt. Dieses über das Internet bereitgestellte Muster stammte von den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger und enthielt aufgrund des Mustercharakters im Wesentlichen nur allgemein gehaltene Ausführungen zu den möglichen Schadensersatzansprüchen gegenüber der Beklagten. Die Beklagte beruft sich unter anderem auf die Einrede der Verjährung.
Der BGH entschied, dass der „Mustergüteantrag“ der Kläger nicht ausreichend gewesen sei, um die Verjährung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Kläger nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB zu hemmen, da der Antrag nicht ausreichend individualisiert wäre. Unter Verweis auf zwei Urteile aus den Jahren 2008 und 2013, die zum Mahnverfahren ergangen sind (BGH, Urt. v. 21.10.2008 – XI ZR 466/07 – NJW 2009, 56; Urt. v. 10.10.2013 – VII ZR 155/11 – NJW 2013, 3509), führte das Gericht aus, dass ohne eine ausreichende Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs eine Hemmungswirkung nicht eintrete und dies auch nicht mehr nach Eintritt der Verjährung nachgeholt werden könne. Bezüglich der konkreten Anforderungen der Individualisierung würden die beim Mahnantrag aufgestellten Grundsätze auch im Rahmen des Güteverfahrens entsprechend heranzuziehen sein. Zum einen müsse der Güteantrag die formalen Anforderungen der Gütestelle erfüllen. Zum anderen müsse der Antrag für den Schuldner erkennen lassen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht werden soll. Dies solle dem Schuldner die Möglichkeit geben, zu prüfen, ob er sich gegen den Anspruch verteidigen und er das Güteverfahren durchführen möchte. Hierzu müsse unmissverständlich die Streitsache dargestellt werden und das konkrete Begehren erkennbar sein.
In Anlageberatungsfällen seien die vorgenannten Voraussetzungen regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die konkrete Kapitalanlage bezeichnet, die Zeichnungssumme sowie der (ungefähre) Beratungszeitraum angegeben und der Hergang der Beratung mindestens im Groben umrissen werde. Ferner sei das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner (und der Gütestelle) ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich sei. Diesen Voraussetzungen werde der „Mustergüteantrag“ der Kläger nicht gerecht.
C. Kontext der Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH tritt beim Mahnverfahren keine Hemmung der Verjährung ein, wenn der geltend gemachte Anspruch im Mahnantrag nicht hinreichend individualisiert dargestellt wird (BGH, Urt. v. 21.10.2008 – XI ZR 466/07 – NJW 2009, 56; Urt. v. 10.10.2013 – VII ZR 155/11 – NJW 2013, 3509). Eine hinreichende Individualisierung ist beim Mahnantrag zum Beispiel dann nicht gegeben, wenn ein aus mehreren Einzelansprüchen bestehender Gesamtanspruch im Mahnverfahren geltend gemacht wird und die Einzelansprüche nicht bereits im Mahnantrag aufgeschlüsselt werden. Die im Rahmen des Mahnverfahrens für den Eintritt der Hemmung geltende Anforderung überträgt der BGH mit der vorliegenden Entscheidung auf den Antrag im Rahmen des Güteverfahrens und konkretisiert diese für den Fall der Anlageberaterhaftung. Diese Entscheidung entspricht auch der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Thematik (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 16.06.2014 – I-31 U 5/14, 31 U 5/14 – WM 2015, 611; OLG Frankfurt, Urt. v. 09.07.2014 – 17 U 172/13; OLG München, Urt. v. 06.11.2013 – 20 U 2064/13).
D. Auswirkungen für die Praxis
Soweit eine Verjährungshemmung durch die Stellung eine Güteantrags erreicht werden soll, ist – ähnlich wie beim Mahnantrag – darauf zu achten, dass der konkrete Streitgegenstand hinreichend genau bezeichnet wird. Eine pauschale Darstellung ist nicht ausreichend, damit die Hemmungswirkung des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB eintritt. Zumindest der grobe Sachverhalt und der konkret geltend gemachte Anspruch sollten daher im Güteantrag dargestellt werden. Im Zweifel sollte daher die Darstellung im Güteantrag eher zu detailliert, als zu „oberflächig“ erfolgen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH stellt in der vorliegenden Entscheidung klar, dass sich der Umfang der Verjährungshemmung i.R.v. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB nach dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch und nicht nach den (geltend gemachten) einzelnen materiell-rechtlichen Ansprüchen richtet. Der prozessuale Anspruch erfasse alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen, in Anlageberatungsfällen folglich sämtliche Pflichtverletzungen eines zu einer Anlageentscheidung führenden Beratungsvorgangs, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Pflichtverletzungen vorgetragen worden seien oder vorgetragen hätten werden können.