Nachfolgend ein Beitrag vom 4.4.2016 von Steinhauff, jurisPR-SteuerR 14/2016 Anm. 3

Leitsätze

1. Das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG findet auch dann Anwendung, wenn nach dem 31.12.2008 getätigte Ausgaben mit Kapitalerträgen zusammenhängen, die vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind (Anschluss an BFH, Urt. v. 02.12.2014 – VIII R 34/13 – BFHE 248, 51 = BStBl II 2015, 387).
2. Das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG ist verfassungsgemäß (Anschluss an BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12 – BFHE 246, 332 = BStBl II 2014, 975; BFH, Urt. v. 28.01.2015 – VIII R 13/13 – BFHE 249, 125 = BStBl II 2015, 393).

A. Problemstellung

Der BFH bestätigt nochmals seine Rechtsprechung, wonach das Werbungskostenabzugsverbot in § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG 2009 auch dann eingreift, wenn nach dem 31.12.2008 getätigte Ausgaben mit Kapitalerträgen zusammenhängen, die dem Steuerpflichtigen bereits vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind, und bekräftigt seine Auffassung, dass die Regelung verfassungskonform ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger erzielte im Streitjahr 2009 Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 15.985 Euro, die Klägerin in Höhe von 870 Euro. Sie machten als Werbungskosten über den Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 1.602 Euro hinaus im Jahr 2009 geleistete Steuerberatungskosten in Höhe von 809,20 Euro geltend, die im Zusammenhang mit vor dem 01.01.2009 zugeflossenen Kapitalerträgen standen. Das beklagte Finanzamt berücksichtigte die Aufwendungen unter Hinweis auf § 20 Abs. 9 EStG nicht. Es veranlagte die Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgrund des von den Klägern gestellten Antrags gemäß § 32d Abs. 6 EStG auf Günstigerprüfung bei den regelbesteuerten Einkünften. Hierbei zog es insgesamt bei den Klägern jeweils nur den Sparer-Pauschbetrag ab.
Das FG Hannover (Urt. v. 18.02.2014 – 3 K 433/13 – EFG 2014, 1479, m. ausf. Anm. Pfützenreuter; s. auch Stumpe, StBW 2015, 333) hat der Klage stattgegeben. Die Abzugsbeschränkung gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG komme nicht zur Anwendung, da die Aufwendungen mit vor dem 01.01.2009 zugeflossenen Kapitalerträgen in Zusammenhang ständen. Das folge aus § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG.
Der BFH gab der Revision des Finanzamts statt und wies die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung ab. § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG sowie § 52a Abs. 2 und Abs. 10 Satz 10 EStG ließen einen Abzug der Aufwendungen ab dem Streitjahr nicht mehr zu. Diese Regelung sei verfassungsgemäß. Mit der Einführung einer Abgeltungsteuer für private Kapitalerträge habe der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem Streitjahr ein umfassendes Abzugsverbot für Werbungskosten angeordnet.
Anwendbar sei diese Beschränkung des Werbungskostenabzugs nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erstmals auf „nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge“. Sie schließe damit nach diesem Zeitpunkt angefallene, d.h. abgeflossene Werbungskosten von einem Abzug bei der Ermittlung der Kapitaleinkünfte aus. Die gegenteilige Auffassung des Finanzgerichts stütze sich zu Unrecht auf den Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG.
Der Tatbestand der Vorschrift knüpfe zwar an nach dem 31.12.2008 „zufließende Kapitalerträge“ an, sei aber ausweislich seines Zwecks, den zeitlichen Anwendungsbereich für das Werbungskostenabzugsverbot in § 20 Abs. 9 EStG zu bestimmen, nur darauf bezogen, die abziehbaren und die nicht abziehbaren abgeflossenen Werbungskosten über die Stichtagsregelung voneinander abzugrenzen (vgl. BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12 – BStBl II 2014, 975 Rn. 18).
Die im Schrifttum gegen diese Auslegung des § 52a Abs. 2 und Abs. 10 Satz 10 EStG vorgebrachte Kritik überzeuge den Senat nicht. Zwar sei bei wörtlichem Verständnis beider Übergangsvorschriften die gesetzliche Anordnung missverständlich (zutreffend Meinert, DB 2015, 890). Hätte der Gesetzgeber allein § 52a Abs. 2 EStG in das Gesetz aufgenommen, wären die Regelungen der §§ 9, 9a EStG und damit der Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ab dem Veranlagungszeitraum 2009 für die Kapitaleinkünfte eindeutig generell außer Kraft gesetzt (es sei denn, der Ausnahmetatbestand des § 32d Abs. 2 Satz 2 EStG wäre gegeben). Der Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG könne – isoliert betrachtet – insoweit zu Zweifeln führen. Der Gesetzgeber habe aber in § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG die eindeutige Anordnung der Regelung in § 52a Abs. 2 EStG, dass ab 2009 der Abzug der tatsächlichen Aufwendungen als Werbungskosten ausgeschlossen sein solle, nicht wieder relativiert und bestimmt, § 20 Abs. 9 EStG solle nur für den Werbungskostenabzug im Zusammenhang mit solchen Kapitalerträgen gelten, die nach dem 31.12.2008 gemäß § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen seien.
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung sei der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergebe, in den sie hineingestellt sei (BVerfG, Urt. v. 20.03.2002 – 2 BvR 794/95 – BVerfGE 105, 135, m.w.N.). Um den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, könnten alle herkömmlichen Auslegungsmethoden herangezogen werden. Sie schlössen einander nicht aus, sondern ergänzten sich gegenseitig (BFH, Urt. v. 23.10.2013 – X R 3/12 – BStBl II 2014, 58, m. Anm. Nöcker, jurisPR-SteuerR 28/2014 Anm. 3; BFH, Urt. v. 25.08.2015 – VIII R 3/14 – BStBl II 2015, 892, m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 48/2015 Anm. 3).
Trotz des nicht hinreichend aufeinander abgestimmten Wortlauts der Übergangsregelungen spreche der Sinnzusammenhang beider Regelungen dafür, dass § 20 Abs. 9 EStG den Abzug sämtlicher ab 2009 abfließender Werbungskosten ausschließen solle, unabhängig davon, ob diese durch vor oder nach dem 31.12.2008 zugeflossene Kapitalerträge veranlasst worden seien. Denn der Gesetzgeber habe in § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG nicht geregelt, dass er ab 2009 einerseits die Abgeltungsteuer mit dem Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG als Kernbestandteil einführen und daneben andererseits für Aufwendungen, die durch vor dem 01.01.2009 zugeflossene Einkünfte veranlasst seien, zeitlich unbefristet mit der Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung die Möglichkeit habe gewähren wollen, solche Aufwendungen als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen neben dem Sparer-Pauschbetrag abzuziehen.
Nach der Rechtsprechung des BFH sei das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG verfassungsgemäß (BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12; BFH, Urt. v. 28.01.2015 – VIII R 13/13 – BStBl II 2015, 393; Anm. Jachmann, jM 2015, 259). Der Senat halte auch für den Streitfall an dieser Rechtsprechung fest.
Die Verfassungsmäßigkeit der Abgeltungsteuer und des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG habe der Senat mit seinem Urteil vom 01.07.2014 (VIII R 53/12 Rn. 11 ff.) im Einzelnen begründet. Er nehme auf diese Ausführungen Bezug. Insbesondere gebiete Art. 3 Abs. 1 GG keine Ausnahme von dem Ausschluss des Werbungskostenabzugs nach § 20 Abs. 9, § 52a Abs. 2 und Abs. 10 Satz 10 EStG in Veranlagungszeiträumen ab 2009 für solche Werbungskosten, die im Zusammenhang mit vor 2009 erzielten Kapitalerträgen stünden.

C. Kontext der Entscheidung

I. Nach § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG können Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ab dem Veranlagungszeitraum 2009 grundsätzlich nicht mehr abgezogen werden. Abziehbar ist lediglich ein Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801 Euro, der bei Ehegatten, die zusammenveranlagt werden, auf 1.602 Euro verdoppelt wird (statt vieler Weber-Grellet in: Schmidt, EStG, 34. Aufl., § 20 Rn. 204).
II. Dies gilt auch bei einer Besteuerung der Kapitaleinkünfte zum Regeltarif aufgrund der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG (BFH, Urt. v. 02.12.2014 – VIII R 34/13 – BStBl II 2015, 387).
III. Anwendbar ist diese Beschränkung des Werbungskostenabzugs nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erstmals auf „nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge“. Damit schließt sie nach diesem Zeitpunkt angefallene, d.h. abgeflossene Werbungskosten von einem Abzug bei der Ermittlung der Kapitaleinkünfte aus (BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12, m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 47/2014 Anm. 2).
Nach der BFH-Rechtsprechung findet das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG auch dann Anwendung, wenn nach dem 31.12.2008 getätigte Ausgaben mit Kapitalerträgen zusammenhängen, die bereits – wie im Streitfall – vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind (BFH, Urt. v. 02.12.2014 – VIII R 34/13; zur Berücksichtigung nachträglicher Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Veranlagungszeiträumen ab 2009 vgl. BFH, Urt. v. 16.03.2010 – VIII R 20/08 – BStBl II 2010, 787, m. Anm. F. Dötsch, jurisPR-SteuerR 36/2010 Anm. 3; BFH, Urt. v. 16.03.2010 – VIII R 36/07 – BFH/NV 2010, 1795; dazu kritisch Steinhauff, jurisPR-SteuerR 40/2010 Anm. 3; BFH, Urt. v. 29.10.2013 – VIII R 13/11 – BStBl II 2014, 251, m. Anm. F. Dötsch, jurisPR-SteuerR 12/2014 Anm. 3).
IV. Der BFH hat das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG wiederholt als verfassungsgemäß beurteilt (ausf. BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12; BFH, Urt. v. 28.01.2015 – VIII R 13/13 – BStBl II 2015, 393, dazu Jachmann, jM 2015, 259). Die überwiegende Literatur stimmt dem zu (z.B. Ratschow in: Blümich, EStG, § 20 Rn. 487 ff.; kritisch Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Anm. 682, m.w.N.; ablehnend mit ausführlicher Begründung Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rn. K 35-77; Weber-Grellet in: Schmidt, EStG, § 20 Rn. 214).
V. Die Verfassungsmäßigkeit hat der BFH bereits in anderem Zusammenhang für den Fall bejaht, dass das Abzugsverbot nach dem 31.12.2008 getätigte Ausgaben betrifft, die mit bereits vor dem 01.01.2009 zugeflossenen Kapitalerträgen zusammenhängen (BFH, Urt. v. 02.12.2014 – VIII R 34/13). Diese Beurteilung (BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12; BFH, Urt. v. 21.10.2014 – VIII R 48/12 – BStBl II 2015, 270, m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 14/2015 Anm. 2; kritisch Paus, DStZ 2015, 711, unter Verweis auf das objektive Nettoprinzip) gilt auch für Schuldzinsen, die die Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung betreffen, auf Zeiträume nach der Veräußerung der Beteiligung entfallen und bis zum Veranlagungszeitraum 2008 ungeachtet der Veräußerung als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgezogen werden konnten (vgl. dazu BFH, Urt. v. 16.03.2010 – VIII R 20/08; zustimmend F. Dötsch, jurisPR-SteuerR 26/2010 Anm. 3).
VI. Die Verfassungsmäßigkeit ist auch insoweit zu bejahen, als sie den Abzug von Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ausschließt, die im Veranlagungszeitraum 2009 – nach Inkrafttreten der Regelungen über die Abgeltungsteuer – entstanden sind, aber mit vor dem 01.01.2009 erzielten Kapitalerträgen zusammenhängen (vgl. BFH, Urt. v. 01.07.2014 – VIII R 53/12; BFH, Urt. v. 21.10.2014 – VIII R 48/12).
Nach der Ansicht des BFH gebietet auch Art. 3 Abs. 1 GG keine Ausnahme von dem Ausschluss des Werbungskostenabzugs nach § 20 Abs. 9, § 52a Abs. 2 und Abs. 10 Satz 10 EStG in Veranlagungszeiträumen ab 2009 für solche Werbungskosten, die im Zusammenhang mit vor 2009 erzielten Kapitalerträgen stehen.
VII. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dieses Gebot wird verletzt, wenn eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG, Beschl. v. 21.06.2011 – 1 BvR 2035/07 – BVerfGE 129, 49, m.w.N.). Der Gesetzgeber hat namentlich bei Steuergesetzen einen erheblichen Pauschalierungs- und Typisierungsspielraum (BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05 – BVerfGE 125, 1) und darf insbesondere aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität praktischen Erfordernissen der Verwaltung Rechnung tragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.04.1977 – 1 BvL 17/75 – BVerfGE 44, 283, m.w.N.). Bei Stichtagsregelungen für einen bestimmten Lebensbereich muss er zwar die von ihm zugrunde gelegten Grundwertungen folgerichtig durchhalten und darf Ausnahmen nur bei besonderen sachlichen Gründen zulassen, hat aber im Übrigen einen großen Spielraum für die Entscheidung, nach welchem System er eine Materie ordnen will (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 09.01.2014 – 1 BvR 2344/11 – ZIP 2014, 464).

D. Auswirkungen für die Praxis

Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, die mit der Auffassung der Finanzverwaltung übereinstimmt, können ab dem Veranlagungszeitraum 2009 angefallene Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen über den Sparer-Pauschbetrag hinaus generell – unabhängig vom wirtschaftlichen Zusammenhang mit bereits vor dem Veranlagungszeitraum 2009 zugeflossenen Einnahmen aus Kapitalvermögen – nicht mehr abgezogen werden (vgl. aber zu Gestaltungshinweisen Hamacher/Dahm in: Korn, EStG § 20 Rn. 459).