Nachfolgend ein Beitrag vom 20.09.2016 von Gessner, jurisPR-BKR 9/2016 Anm. 3

Leitsätze

1. Werden durch eine Zahlung des Schuldners aufgrund eines mit dem Gläubiger vereinbarten Verzichts über den Zahlungsbetrag hinausgehende Verbindlichkeiten getilgt, scheidet eine Gläubigerbenachteiligung aus, wenn der in der Zahlung liegende Vermögensverlust durch den damit verbundenen Verzicht auf weitere Forderungen voll ausgeglichen wird.
2. Eine durch eine Anweisung auf Kredit bewirkte Zahlung löst auch dann keine Gläubigerbenachteiligung aus, wenn der auftragsrechtliche Erstattungsanspruch des Angewiesenen nachträglich in ein Darlehen umgewandelt wird.

A. Problemstellung

Das Urteil des BGH beschäftigt sich mit einem eher ungewöhnlichen Sachverhalt der Insolvenzanfechtung. Allerding wird die Entscheidung genutzt, um zum Merkmal der Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 InsO ausführlich Stellung zu nehmen. Dabei beschäftigt sich der BGH insbesondere mit der immer wieder thematisierten Frage, inwieweit eine Vorteilsanrechnung bei anfechtbaren Rechtshandlungen zulässig ist. Dies ist ein klassisches Problem in der anwaltlichen Praxis, da aus Sicht von z.B. Lieferanten kaum nachvollziehbar ist, wieso die angemessene Bezahlung einer Ware Gläubiger habe benachteiligen können. Die Haltung des BGH ist hierbei äußerst strikt, was sowohl richtig als auch dem Rechtsgedanken des Insolvenzanfechtungsrechts geschuldet ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in einem auf Antrag vom 17.01.2006 beruhenden und am 12.12.2006 eröffneten Insolvenzverfahren. Die nur noch aktiv am Verfahren beteiligte Beklagte zu 2. war die Hausbank der Insolvenzschuldnerin. Bereits 2005 geriet diese in wirtschaftliche Schwierigkeiten und es begannen im Sommer Verhandlungen mit der Beklagten zu 2. über Modalitäten zur Rückführung eines Darlehens, das zugunsten der Bank grundpfandrechtlich gesichert war. Es kam zwischen den Parteien daraufhin zu einer mündlichen Einigung, wonach die Insolvenzschuldnerin eine Zahlung in Höhe von 150.000 Euro an die Beklagte zu 2. leisten sollte. Im Gegenzug wollte diese auf eine überschießende Forderung in Höhe von rund 1,6 Mio. Euro verzichten. In der Folge kam es zur Zahlung eines Dritten an die Beklagte zu 2. in Höhe von 250.000 Euro. Dieser Betrag war als Treuhandzahlung deklariert und stand unter zweierlei Bedingungen, die Zug um Zug zu erfüllen waren. Zum einen sollte die Insolvenzschuldnerin durch die Zahlung von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten zu 2. befreit werden. Zum anderen verlangte der Dritte Übertragung aller von der Insolvenzschuldnerin für die Beklagte zu 2. bestellten Grundpfandrechte. Der Dritte und die Insolvenzschuldnerin schlossen kurz darauf einen Darlehensvertrag über 100.000 Euro. Die Valuta war Bestandteil der bereits erfolgten Treuhandzahlung. Daraufhin trat die Beklagte zu 2. die Grundpfandrechte an den Dritten ab. Es wurde anschließend der – bereits mündlich abgestimmte – aufschiebend bedingte Forderungsverzicht zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten zu 2. vereinbart. Neben den bereits gezahlte 100.000 Euro wurde eine weitere Zahlung von 50.000 Euro zugesagt, woraufhin die Bank dann auf die Restforderung verzichten wollte. Der Kläger verlangte nun von der Beklagten zu 2. die Rückzahlung von 100.000 Euro als Bestandteil der ursprünglichen Zahlung von 250.000 Euro wegen insolvenzrechtlicher Anfechtung.
Das OLG Jena wies die Klage ab, weil es bereits an einer Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO fehle. Hierfür sei es allerdings irrelevant, dass der strittige Betrag von dem Dritten und nicht der Insolvenzschuldnerin selbst an die Beklagte zu 2. gezahlt worden sei. Dieser Fall sei nicht anders zu beurteilen, als wenn die Valuta in Höhe von 100.000 Euro zunächst an die Insolvenzschuldnerin ausgezahlt worden wäre, die damit den Vergleichsbetrag an die Beklagte zu 2. geleistet hätte. Es fehle aber an einer Gläubigerbenachteiligung, weil die Bank im Gegenzug zu der streitgegenständlichen Zahlung auf erhebliche Forderungen verzichtet habe. Zwar müsse jede Rechtshandlung isoliert auf ihre Anfechtbarkeit geprüft werden. Da der Forderungsverzicht durch eine aufschiebende Bedingung mit der Vergleichszahlung verknüpft sei, könnten beiden Maßnahmen in diesem konkreten Fall jedoch nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die Zahlung führe somit unmittelbar zu einer erheblichen Reduzierung der Passiva und sei daher nicht gläubigerbenachteiligend.
Der BGH bestätigte das Urteil des OLG Jena. Er stellte ebenfalls fest, dass es in der gegenständlichen Konstellation an einer Gläubigerbenachteiligung fehle, weshalb eine Insolvenzanfechtung ausscheide. Zunächst aber machte der BGH deutlich, dass es sich bei der Zahlung des Dritten um eine mittelbare Zuwendung der Insolvenzschuldnerin gehandelt habe. Damit sei die Zahlung einer insolvenzrechtlichen Anfechtung grundsätzlich zugänglich. Eine Gläubigerbenachteiligung sei allerdings nicht anzunehmen, weil eine Vorteilsanrechnung im konkreten Fall ausnahmsweise zulässig sei. Hierauf komme es aber im Ergebnis gar nicht an, weil die Anweisung vorliegend auf Kredit erfolgt sei, sodass eine Benachteiligung der Gläubiger per se ausscheide.

C. Kontext der Entscheidung

Die ausführlichen Darstellungen des BGH zum Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO sind sehr zu begrüßen. Die Frage der Vorteilsanrechnung im Rahmen von Insolvenzanfechtungen ist schließlich immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Denn in der Praxis ist zu beobachten, dass Anfechtungsgegner ihre Verteidigung primär auf eben eine solche Vorteilsanrechnung stützen. Erst in Gerichtsverfahren kann dieses Argument dann entkräftet werden.
Dass in der Zahlung des Dritten eine mittelbare Zuwendung der Insolvenzschuldnerin an die Beklagte zu 2. lag, war eindeutig (hierzu Ede/Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 129 Rn. 265 f.; BGH, Urt. v. 04.02.2016 – IX ZR 42/14 – NZI 2016, 307). Hierfür ist es ausreichend, wenn für den Zahlungsempfänger erkennbar ist, dass mit der Zahlung des Dritten eine Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners getilgt werden soll. Dies ergab sich vorliegend eindeutig aus der Treuhandauflage für die Zahlung in Höhe von 250.000 Euro.
Kern des Urteils ist die Frage der Vorteilsanrechnung beim Tatbestandsmerkmal „Gläubigerbenachteiligung“ i.S.d. § 129 InsO. Zunächst muss man sich vor Augen führen, welchen Sinn und Zweck die Insolvenzanfechtung hat. Ihre Aufgabe ist es, den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par conditio creditorum) gemäß § 1 InsO auf den Zeitpunkt vorzuverlagern, in dem die Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO eingetreten ist (Kirchhof in: MünchKomm InsO, Vor § 129 Rn. 1 ff.; Ede/Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rn. 1). Denn ab diesem Zeitpunkt führt grundsätzlich jede Zahlung an einen Gläubiger zur Benachteiligung der übrigen Gläubigerschaft, weil die vorhandenen Mittel nicht mehr ausreichen, um alle bestehenden fälligen Forderungen zu befriedigen. Grundsätzlich liegt eine Gläubigerbenachteiligung daher vor, wenn sich durch die Rechtshandlung die Aktiva reduzieren oder die Passiva erhöhen (BGH, Urt. v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04 – NJW 2008, 655; Schmidt in: Schmidt, InsO, 18. Aufl. 2013, § 129 Rn. 47). Dabei soll nach Ansicht des BGH eine wirtschaftliche Betrachtungsweise herangezogen werden (BGH, Urt. v. 03.04.2014 – IX ZR 201/13 – NJW 2014, 1963; BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12 – NJW 2013, 2282).
Trotz dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise lehnt der BGH jedoch in ständiger Rechtsprechung eine Vorteilsanrechnung wie im Schadensersatzrecht ab (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – IX ZR 185/13 – NZI 2016, 262; BGH, Urt. v. 26.04.2012 – IX ZR 146/11 – NZI 2012, 562; BGH, Urt. v. 12.07.2007 – IX ZR 235/03 – NZI 2007, 718). Abgesehen von Praxisproblemen bei der Berechnung dieses Vorteils ist diese Auffassung auch erforderlich, um dem Insolvenzanfechtungsrecht zur Geltung zu verhelfen. Daher ist der BGH bislang nur in absoluten Ausnahmefällen von seinem Dogma abgewichen (BGH, Urt. v. 13.03.2003 – IX ZR 64/02 – NJW 2003, 1865). Und zwar immer dann, wenn die Rechtshandlung originär zu einem mindestens gleichwertigen Vorteil führt. Dies ist beispielsweise bei Warenlieferungen an den Insolvenzschuldner nicht der Fall, da dort erst der anschließende Weiterverkauf zu einem Massezufluss führt.
In seinem gegenständlichen Urteil wiederholt der BGH eben diese Grundsätze zur Vorteilsanrechnung. Er kommt schließlich zu dem richtigen Ergebnis, dass die aufschiebende Bedingung zwischen Forderungsverzicht und Zahlung einen Konnex herstelle, der eine Gesamtbetrachtung rechtfertigt. Es ist sodann also zu fragen, ob der Forderungsverzicht ein adäquater Gegenwert für die Zahlung in Höhe von 100.000 Euro darstellt. Dies ist anhand eines Vergleichs der Quoten zu ermitteln, die die Insolvenzgläubiger mit und ohne die Zahlung erhalten hätten. Dabei sind die Aktiva der Insolvenzschuldnerin mit und ohne Zahlung den Passiva mit und ohne Forderungsverzicht gegenüberzustellen.
Obwohl es sehr zu begrüßen ist, dass der BGH diese generelle Berechnungsmethodik dargestellt hat, war diese vorliegend gar nicht relevant. Denn es handelt sich hier um eine sogenannte „Anweisung auf Kredit“, für die der BGH in ständiger Rechtsprechung eine Gläubigerbenachteiligung ablehnt (BGH, Urt. v. 21.06.2012 – IX ZR 59/11 – WM 2012, 1448; ausführlich Hirte/Ede in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rn. 273). Der Umstand, dass der Abschluss des Darlehensvertrages mit dem Dritten erst nach dessen Zahlung erfolgte, ist vorliegend irrelevant, weil bereits zuvor ein Anspruch des Dritten aus Auftrag (§§ 670, 662 BGB) oder Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 677, 683 Satz 1 BGB) bestand.
Bei einer solchen Anweisung auf Kredit kommt es aber lediglich zu einem Gläubigertausch – hier in Höhe von 100.000 Euro –, da die Zahlung an die Beklagte zu 2. durch den Dritten und nicht die Insolvenzschuldnerin erfolgte. Die Aktiva der Insolvenzschuldnerin haben sich in diesem Fall also nicht reduziert. Auf Passivseite wurde die Beklagte zu 2. in Höhe von 100.000 Euro durch den Dritten als Gläubiger ersetzt. Im Übrigen reduzierten sich die Passiva um den Verzichtsbetrag in Höhe von rund 1,6 Mio. Euro. Eine Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 InsO schied somit aus.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Sachverhalt, der dem gegenständlichen Urteil des BGH zugrunde lag, ist eher ungewöhnlich. Dennoch hat die Entscheidung einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert für die Praxis. Denn der BGH legt hier noch einmal dezidiert dar, ob und wann Vorteilsanrechnungen bei Anfechtungstatbeständen zu erfolgen bzw. zu unterbleiben haben. Auch beschreibt er die konkrete Ermittlung des Vorteils, der im Einzelfall angerechnet werden kann. Für die Praxis ist dieses Urteil daher ein geeignetes Handwerkszeug in Anfechtungsprozessen.