Nachfolgend ein Beitrag vom 5.4.2019 von Zwade, jurisPR-BGHZivilR 7/2019 Anm. 2
Leitsatz
Zur Anwendbarkeit des Vergleichswertverfahrens bei der Feststellung des Verkehrswerts einer Immobilie.
A. Problemstellung
Soweit sich in Fällen des finanzierten Erwerbs einer Eigentumswohnung nach dem Kauf zeigt, dass ein Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert der finanzierten Immobilie bestehen könnte, stellt sich regelmäßig auch die rechtliche Frage, wer Kenntnis hatte und diese Kenntnis infolge einer bestehenden Aufklärungspflicht offenlegen musste. Die Inanspruchnahme der Bank wird in solchen Konstellationen, die oftmals unter die Rubrik „Schrottimmobilienfälle“ einzuordnen sind, regelmäßig dann in Erwägung gezogen, wenn der Verkäufer nicht mehr zu greifen oder insolvent ist. Die Durchsetzung eines solchen Anspruchs gegen die Bank gestaltet sich jedoch regelmäßig schwierig und muss hohe Hürden nehmen, was die besprochene Entscheidung abermals zeigt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger begehren von der beklagten Bank Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit dem finanzierten Erwerb einer Eigentumswohnung.
Im Sommer 2008 haben die Kläger von der Verkäuferin eine zu einer Nettokaltmiete von 5,11 Euro/qm vermietete Eigentumswohnung mit einer Größe von 22 m² zu einem Kaufpreis von 33.900 Euro erworben. Zwecks Finanzierung des Erwerbs der Wohnung schlossen die Kläger mit der beklagten Bank im Dezember 2008 einen Darlehensvertrag über 33.900 Euro mit einer anfänglichen Tilgung von 1,5% p.a. und einer monatlichen Annuität von 203,97 Euro. In der Folgezeit leisteten die Kläger an die Beklagte auf das Darlehen bis einschließlich August 2016 insgesamt 18.765,24 Euro. Sie erzielten sodann infolge des Leerstands der Wohnung keine Mieteinnahmen mehr.
Bereits im Jahr 2010 hatten die Kläger die Verkäuferin vor dem LG Leipzig auf Rückabwicklung des Kaufvertrages erfolgreich in Anspruch genommen, nachdem ein Sachverständigengutachten den Verkehrswert der Wohnung für das Kaufjahr 2008 mit lediglich 10.500 Euro ermittelt hatte und der Kaufpreis daher in sittenwidriger Weise überhöht gewesen war. Die Verkäuferin meldete in der Folgezeit Insolvenz an.
Mit ihrer gegen die Bank gerichteten Klage begehren die Kläger nunmehr die Rückzahlung der an die Bank auf die Darlehen geleisteten Zahlungen i.H.v. 18.765,24 Euro nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass weitere Ansprüche aus dem Darlehensvertrag nicht bestehen, jeweils Zug um Zug gegen Übereignung der Eigentumswohnung. Weiter wurde die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, einen weiteren Vermögensschaden im Zusammenhang mit dem Erwerb der Eigentumswohnung auszugleichen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger verhalf der Klage zum Erfolg. Das KG als Berufungsgericht vertrat die Überzeugung, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus den §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB infolge einer Aufklärungspflichtverletzung der Bank begründet sei. Der Kaufpreis der Eigentumswohnung sei sittenwidrig überhöht gewesen, was die Beklagte auch erkannt habe. Jedenfalls habe sie vor einer sich ihr evident aufdrängenden sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung die Augen verschlossen. Den von dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen ermittelten Verkehrswert der Wohnung im relevanten Zeitpunkt von 20.600 Euro legte das Berufungsgericht seiner Bewertung nicht zugrunde, da sich nach seiner Überzeugung der streitgegenständlichen Wohnung vergleichbare Objekte aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in der betroffenen Stadt nicht entnehmen ließen. Hingegen sei der Ertragswert durch den Sachverständigen nachvollziehbar und überzeugend mit 12.072 Euro ermittelt worden, wobei der Sachverständige im Weiteren jedoch den angesetzten Marktanpassungsfaktor von 45%, der zu einem endgültigen Ertragswert von 17.500 Euro führte, nicht überzeugend begründet habe. Nach dem der Vergleichswert nur auf einer vergleichsweise „schmalen“ Basis zu ermitteln sei, hielt es das Berufungsgericht hinsichtlich der Verfahrenswahl für geboten, eine Mittelung des Vergleichs- und Ertragswertes vorzunehmen, was zu einem Verkehrswert i.H.v. 16.346,50 Euro führte. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO bedürfe es insoweit nicht, weil das eingeholte Gutachten eine ausreichende Erkenntnislage bilde. Die Überzeugung, dass sich der Beklagten die Kenntnis von dem Umstand der sittenwidrigen Überteuerung aufdrängen musste, begründete das Berufungsgericht mit der von der Beklagten vorgenommenen Beleihungswertermittlung mithilfe des Onlinetools „Wertweiser“, welches einen Vergleichswert von 26.400 Euro ergebe, zugleich aber auch einen Ertragswert von lediglich 8.450 Euro, so dass das arithmetische Mittel beider Werte mit 17.425 Euro bereits in den sittenwidrigen Bereich führe. Zusätzlich habe die beklagte Bank anhand der ihr vorliegenden Angaben zur monatlichen Bruttokaltmiete eine einfache Bewertung zu dem Ertragswert vornehmen können und hätte dabei ohne weiteres die Überhöhung des Verkaufspreises erkennen können.
Die Revision gegen sein Urteil hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Die hiergegen geführte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hatte Erfolg und führte gemäß § 544 Abs. 7 i.V.m. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht wegen einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Der XI. Zivilsenat des BGH hat die Verletzung des Verfahrensgrundrechts der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG mit der von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellung zu einer sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises der Immobilie begründet, nachdem das Berufungsgericht von der Beurteilung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen, welcher den Verkehrswert der streitgegenständlichen Wohnung nach seinen Ausführungen sachgerecht anhand des Vergleichswertverfahrens ermittelt hatte, abgewichen ist und ohne Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO und ohne Nachweis einer eigenen besonderen Sachkunde selbstständig eine Wertermittlung vorgenommen hat (Rn. 15). Will das Prozessgericht bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen, muss es den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (BGH, Beschl. v. 13.01.2015 – VI ZR 204/14 Rn. 5; BGH, Beschl. v. 08.03.2016 – VI ZR 243/14 Rn. 12). Einen solchen Hinweis hatte das Berufungsgericht bereits nicht erteilt, was eine Gehörsverletzung begründet.
Das Berufungsgericht hat das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Überzeugung des BGH ein weiteres Mal verletzt, soweit es bei der Ermittlung des Wertes der erworbenen Eigentumswohnung von der Anwendung des Vergleichswertverfahrens abgesehen und stattdessen einen Mittelwert von Vergleichswert und Ertragswert angesetzt hat. Zwar steht die Auswahl der geeigneten Wertermittlungsmethode zur Feststellung des tatsächlichen Werts einer Immobilie grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (BGH, Urt. v. 18.12.2007 – XI ZR 324/06 Rn. 32; BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 31). Lässt sich eine aussagekräftige Menge von Vergleichspreisen verlässlich ermitteln, so wird die Vergleichswertmethode jedoch als die einfachste und zuverlässigste Methode angesehen und steht bei Wohnungseigentum deshalb im Vordergrund, was bei der Methodenwahl des Tatrichters zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 18.12.2007 – XI ZR 324/06 Rn. 32; BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 31). Hat der gerichtlich bestellte Sachverständige die Voraussetzungen für eine verlässliche Verkehrswertermittlung nach Vergleichspreisen ermittelt, kann auch dann, wenn eine andere Wertermittlungsmethode zu einem deutlich abweichenden Ergebnis führt, an dem durch Vergleich ermittelten Ergebnis nicht vorbeigegangen werden. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Frage der Sittenwidrigkeit geht und der direkte Vergleich mit dem maßgeblichen Markt, den die Auswertung der tatsächlich erzielten Preise bei Vorliegen hinreichenden Vergleichsmaterials leistet, zur Verneinung eines besonders groben Missverhältnis führt (Rn. 20). Den von dem Berufungsgericht erfolgten Hinweis auf eine vergleichsweise „schmale“ Basis für die Ermittlung des Vergleichswertes hat der BGH als Grundlage für eine Abkehr von dem Vergleichswert sowie für den Mittelwert von Vergleichs- und Ertragswert nicht als tragfähig erachtet und zudem darauf verwiesen, dass die Bestimmung eines schematisch rechnerischen Mittelwertes aus Vergleichs- und Ertragswert bereits als unzulässig anzusehen ist (Rn. 19, BGH, Urt. v. 13.07.1970 – VII ZR 189/68 Rn. 25).
Den weiteren Ausgangspunkt der Erwägungen des Berufungsgerichts, wonach die Beklagte anhand ihr vorliegender Angaben zur monatlichen Bruttokaltmiete eine einfache Überschlagsrechnung des Ertragswertes durchführen musste, aus deren Ergebnis sich ihr sodann die Sittenwidrigkeit des vereinbarten Kaufpreises aufgedrängt hätte, hat der BGH auch nicht gelten lassen. Er hat insoweit hervorgehoben, dass für den Nachweis der erforderlichen positiven Kenntnis der Bank von der sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises für das finanzierte Objekt ein präsentes Wissen erforderlich ist und eine Nachforschungspflicht der Bank gerade nicht besteht. Infolgedessen ist sie auch nicht zur Ermittlung eines ungefähren Ertragswertes im Wege eines „vereinfachten Ertragswertverfahrens“ verpflichtet und kann nicht auf einen gegriffenen Wert zu einem üblichen Vervielfältiger der Jahresnettomiete abgestellt werden (BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 35).
Auf ein ungünstiges Verhältnis von Verkehrswert und Kaufpreis musste die beklagte Bank letztlich die Kläger ebenso wenig hinweisen, unabhängig davon, ob sie dazu über Erkenntnisse verfügte. Ebenso wie der Verkäufer im Regelfall nicht darauf hinweisen muss, trifft die Bank, die nur die Finanzierung übernimmt, vorvertraglich erst recht keine Pflicht, den Käufer auf einen für ihn unwirtschaftlichen Kauf hinzuweisen (BGH, Urt. v. 16.05.2006 – XI ZR 6/04 Rn. 47; BGH, Urt. v. 03.06.2008 – XI ZR 131/07 Rn. 25; BGH, Urt. v. 10.12.2013 – XI ZR 508/12 Rn. 26).
C. Kontext der Entscheidung
Die besprochene Entscheidung des XI. Senats des BGH reiht sich in die von dem Senat begründete Dogmatik zu Aufklärungspflichten einer Bank im Hinblick auf die Unangemessenheit des von ihr finanzierten Kaufpreises ein.
Danach trifft die Bank eine Aufklärungspflicht über die Unangemessenheit eines von ihr finanzierten Kaufpreises unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Wissensvorsprunges, soweit eine so wesentliche Verschiebung der Relation zwischen Kaufpreis und Verkehrswert vorliegt, dass die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen muss (BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 19 m.w.N.). Von dieser wesentlichen Verschiebung der Relation ist auszugehen, wenn der Verkaufspreis knapp doppelt so hoch ist wie der Verkehrswert der Wohnung. Die im Kaufpreis enthaltenen Nebenkosten sind nicht in den Vergleich einzubeziehen. Die Würdigung, ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, ist dabei eine Rechtsfrage, die der vollständigen Nachprüfung im Wege der Revision unterliegt, wohingegen die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, insbesondere zum Wert der Immobilie im Zeitpunkt des Kaufes, im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkte Überprüfung dazu zugänglich sind, ob die Würdigung vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Hinsichtlich der Auswahl der geeigneten Wertermittlungsmethode, die im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters steht, wird nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Vergleichswertmethode als die einfachste und zuverlässigste Methode bei Wohnungseigentum angesehen, soweit sich eine aussagekräftige Menge von Vergleichspreisen verlässlich ermitteln lässt (BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 31; BGH, Urt. v. 18.12.2007 – XI ZR 324/06 Rn. 32). Ist der Tatrichter der Überzeugung, dass sich geeignete Vergleichswerte nicht ergeben können, muss er dies mit einer Begründung rechtfertigen (BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 32).
Einem Ansatz eines sog. „vereinfachten Ertragswertverfahrens“, das zum Inhalt hat, eine x-fache Jahresnettomiete mit dem Kaufpreis zu vergleichen und dessen Kenntnis bei jedermann zu unterstellen, hat der BGH bereits mit seiner Entscheidung vom 18.10.2016 (XI ZR 145/14) ausdrücklich eine Absage erteilt, da es sich insoweit um ein offensichtlich gegriffenes und pauschaliertes Verfahren für eine einfache Überschlagsrechnung handelt, welches für die exakte Ermittlung des Verkehrswertes einer Immobilie nicht geeignet ist (BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 37). Infolgedessen kann es auch nicht für die Feststellung einer sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises für deren Erwerb taugen.
Die Aufklärungspflicht der finanzierenden Bank zu einer sittenwidrigen Überteuerung der Kaufsache setzt weiter ein präsentes Wissen der Bank von der sittenwidrigen Überteuerung voraus, was grundsätzlich positive Kenntnis erfordert (BGH, Urt. v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14 Rn. 34 m.w.N.). Zu eigenen Nachforschungen ist die Bank grundsätzlich nicht verpflichtet, weshalb die bloße Erkennbarkeit einer sittenwidrigen Überteuerung des Wohnungskaufpreises nur dann der positiven Kenntnis gleichsteht, wenn sich einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalles die sittenwidrige Überteuerung aufdrängen musste.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die besprochene Entscheidung zeigt ein weiteres Mal, dass sämtliche Versuche einer Aufweichung der von dem XI. Zivilsenat des BGH in seiner ständigen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Haftung einer Bank bei Kenntnis von einem groben Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert einer von ihr finanzierten Immobilie bislang fehlschlagen. Dies wird wohl auch in Zukunft so bleiben, da die oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätze dogmatisch stringent und in sich schlüssig sind. Einer gerichtlichen Inanspruchnahme der finanzierenden Bank sollte deshalb in jedem Fall eine exakte Überprüfung dazu vorausgehen, ob sich gerade unter Anwendung des Vergleichswertverfahrens eine sittenwidrige Überteuerung der Kaufsache ergibt und zusätzlich die erforderliche, grundsätzlich positive Kenntnis der Bank nachgewiesen werden kann.
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