Nachfolgend ein Beitrag vom 5.4.2019 von Nassall, jurisPR-BGHZivilR 7/2019 Anm. 3

Leitsätze

1. Eine vorformulierte Bestätigung des Anlegers, die Risikohinweise in einem Emissionsprospekt zur Kenntnis genommen zu haben, ist gemäß § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchst. b BGB unwirksam. Hierin liegt eine die Beweislast zu seinem Nachteil ändernde Bestimmung. Es genügt, wenn die Beweisposition des Anlegers verschlechtert wird; eine Umkehr der Beweislast ist nicht erforderlich.
2. Ein Empfangsbekenntnis i.S.v. § 309 Nr. 12 Halbsatz 2 BGB muss getrennt vom sonstigen Vertragstext erteilt werden und darf keine weiteren Erklärungen umfassen.
3. Die Frage, ob der Anleger genügend Zeit hatte, um einen ihm zur Information unter anderem über die Risiken des Investments zur Verfügung gestellten Prospekt zur Kenntnis zu nehmen, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine Regelfrist gibt es nicht.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob beim Vertrieb von Kapitalanlagen die von der Anbieterseite vorformulierte Erklärung, der Anleger habe den Beteiligungsprospekt erhalten und vollinhaltlich zur Kenntnis genommen, gegen den Anleger Wirkungen zu zeitigen vermag.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger hat am 16.03.2010 nach Beratung durch die Beklagte einen Solarfonds gezeichnet. In seiner Beitrittserklärung heißt es in einer gesondert von ihm unterschriebenen Rubrik, er habe den Beteiligungsprospekt erhalten und vollinhaltlich zur Kenntnis genommen. Zugleich hat der Kläger einen „persönlichen Beraterbogen“, in dem das Datum der Prospektübergabe mit 12.03.2010 vermerkt ist, unterzeichnet. Er verlangt nun Schadensersatz wegen der Beteiligung, weil er über die Risiken der Anlage nicht informiert worden sei; den Emissionsprospekt habe er erst anlässlich der Zeichnung erhalten.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil davon auszugehen sei, dass der Kläger den Prospekt rechtzeitig erhalten habe. Die Beklagte habe unter zulässiger Bezugnahme auf den Vermerk über das Übergabedatum im Beratungsprotokoll substantiell vorgetragen, dass der Kläger den Prospekt am 12.03.2010 erhalten habe. Damit habe sie zugleich ihrer sekundären Darlegungslast zu einer rechtzeitigen Prospektübergabe genügt, indem sie auf die von ihr vorgelegte Beitrittserklärung Bezug genommen habe, in der der Kläger nicht nur den Empfang des Prospektes, sondern auch dessen Kenntnisnahme bestätigt habe. Der Kläger habe nicht bestritten, Empfangs- und Kenntnisnahmebestätigung unterzeichnet zu haben. Er habe auch nicht erläutert, weshalb er den Prospekt entgegen seiner Bestätigung tatsächlich nicht habe zur Kenntnis nehmen können.
Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen: Die in dem Beitrittsformular enthaltene Kenntnisnahmebestätigung sei als Tatsachenbestätigung gemäß § 309 Nr. 12 HS. 1 Buchst. b BGB unwirksam; das gelte ebenso für das zugleich mit ihr und weiteren anderen Erklärungen – mithin nicht isoliert – abgegebene Empfangsbekenntnis, auf das § 309 Nr. 12 HS. 2 BGB folglich keine Anwendung finde. Das Berufungsgericht werde daher im neuen Verfahren die Erklärung des Klägers, er habe den Prospekt vollinhaltlich zur Kenntnis genommen, außer Acht zu lassen und sich nur unter Berücksichtigung des sonstigen Parteivortrages mit der Frage zu befassen haben, ob der Kläger den Prospekt rechtzeitig erhalten habe, um sich mit dessen Inhalt auseinandersetzen zu können.

C. Kontext der Entscheidung

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH schuldet der Anlageberater eine anleger- und objektgerechte Beratung, bei der er den Interessenten insbesondere über die Eigenschaften und Risiken unterrichten muss, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.03.2017 – III ZR 93/16 Rn. 11 – WM 2017, 799, 800). Die ordnungsgemäße Anlageberatung kann nicht nur mündlich, sondern auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben wird, dass dieser seinen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen kann (BGH, Urt. v. 18.02.2016 – III ZR 14/15 Rn. 16 – WM 2016, 504, 505), und der Anleger diese Form der Unterrichtung akzeptiert (dazu BGH, Urt. v. 07.02.2019 – III ZR 498/16). Welche Frist seit Empfang des Prospekts bis zum Abschluss des Anlagegeschäftes angemessen und erforderlich ist, damit der Anleger den Prospektinhalt hinreichend zur Kenntnis nehmen kann, hängt maßgeblich von den Umständen des einzelnen Falles ab (BGH, Beschl. v. 19.07.2011 – XI ZR 191/10 Rn. 18 – WM 2011, 1506, 1508). Im Haftungsprozess trifft grundsätzlich den Anleger die Darlegungs- und Beweislast, nicht gehörig aufgeklärt und beraten worden zu sein. Dabei hat er auch die nicht rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospektes darzulegen und, sofern die Anbieterseite die (rechtzeitige) Übergabe substantiiert behauptet, zu beweisen (BGH, Urt. v. 19.10.2017 – III ZR 565/16 Rn. 22 – WM 2017, 2191, 2193).
Genau hier werden von der Anbieterseite vorformulierte Kenntnisnahmequittungen problematisch: Der AGB-Kontrolle unterliegen auch die vom Verwender vorformulierten einseitigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Vertragspartners. Eine vom Anbieter vorformulierte „Quittung“ des Anlegers ist damit rechtlich eine Allgemeine Geschäftsbedingung des Anbieters (BGH, Urt. v. 15.05.2014 – III ZR 368/13 Rn. 30 – WM 2014, 1146). Sie muss sich deshalb am Kontrollmaßstab des § 309 Nr. 12 BGB messen lassen. AGB-rechtlich unproblematisch ist danach nur eine reine Empfangsquittung, die gesondert unterschrieben oder mit einer gesonderten qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Wirksam ist also nur das isolierte Empfangsbekenntnis, nicht aber ein Empfangsbekenntnis, das auch andere Erklärungen des Vertragspartners des Anbieters beinhaltet. Genügt die Erklärung diesen Anforderungen nicht, ist sie unwirksam, soweit sie die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils verändert, insbesondere indem sie ihn bestimmte Tatsachen bestätigen lässt. Aus dieser Formulierung des Gesetzes erhellt, dass es bei § 309 Nr. 12 BGB nicht nur um die eigentliche Umkehr der Beweislast geht, sondern um alle Regelungen, durch die die Beweisposition des Vertragspartners des Verwenders in irgendeiner Weise verschlechtert wird; schon der bloße Versuch, die Beweissituation des Vertragspartners zu verschlechtern, ist unzulässig (BGH, Urt. v. 28.01.1987 – IVa ZR 173/85 – WM 1987, 471, 472). Eine solche die Beweisposition des Vertragspartners des Verwenders verschlechternde Wirkung haben auch eine Empfangsquittung und eine Kenntnisnahmeklausel: Der Verwender will sich durch sie der Notwendigkeit entheben, die Prospektübergabe und die Möglichkeit des Anlegers, den Prospekt zu Kenntnis zu nehmen, substantiiert vorzutragen: Er will stattdessen schlicht auf die Klauseln verweisen. Der Anleger müsste, wären sie wirksam, nicht nur überhaupt vortragen und beweisen, dass er den Prospekt nicht erhalten habe und nicht habe zur Kenntnis nehmen können, sondern darüber hinaus auch, dass und weshalb seine Erklärung unrichtig sei, er ihn also tatsächlich nicht zur Kenntnis genommen habe und ihn auch nicht zur Kenntnis habe nehmen können.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung stellt zwei Dinge klar: Die im Kapitalanlagenvertrieb von der Anbieterseite vorformulierte, auf Werbeunterlagen bezogene Empfangsquittung ist wirksam – aber nur, wenn sie keine weiteren Erklärungen beinhaltet. Unwirksam ist sie daher, wenn mit ihr weitere Erklärungen des Anlegers verbunden werden. Eine von der Anbieterseite vorformulierte „Kenntnisnahmeerklärung“ des Anlegers, des Inhalts, dass er Gelegenheit gehabt habe, ihm überlassene Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen, ist nach § 309 Nr. 12 Buchst. b BGB ohne weiteres unwirksam.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Entscheidung befasst sich auch mit der Zulässigkeit der Anschlussrevision und bestätigt die bisherige Rechtsprechung: Mit der Anschlussrevision kann nicht ein Streitstoff in das Revisionsverfahren eingeführt werden, der mit dem Gegenstand der Hauptrevision weder in einem rechtlichen noch in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht (so schon: BGH, Urt. v. 22.11.2007 – I ZR 74/05 Rn. 40 – BGHZ 174, 244). Die Anschlussrevision muss deshalb einen einheitlichen Lebenssachverhalt betreffen, der mit dem von der Revision erfassten Streitgegenstand in einem unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang steht. Daran fehlt es, wenn Revision und Anschlussrevision jeweils selbstständige Beratungssituationen und Anlageentscheidungen betreffen, konkret verschiedene Fondsbeteiligungen.

Keine vorformulierte Bestätigung eines Anlegers, die Risikohinweise im Emissionsprospekt zur Kenntnis genommen zu haben
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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