Nachfolgend ein Beitrag vom 23.5.2017 von Müller-Christmann, jurisPR-BKR 5/2017 Anm. 4
Orientierungssatz
Der Hemmungstatbestand des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB greift nicht bei Ansprüchen auf Rückführung eines gekündigten Kontokorrentsaldos.
A. Problemstellung
§ 497 Abs. 3 Satz 3 BGB enthält für Verbraucherdarlehen einen besonderen Hemmungstatbestand, um zu verhindern, dass Darlehensgeber allein zur Vermeidung des Verjährungseintritts unstreitige Forderungen titulieren lassen. Das AG München vertritt in der zu besprechenden Entscheidung die Auffassung, dieser Hemmungstatbestand greife nicht bei Ansprüchen auf Rückführung eines gekündigten Kontokorrentsaldos.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht auf Ausgleich eines negativen Saldos aus einem Kontokorrentvertrag in Anspruch. Zwischen dem Beklagten als Verbraucher und der (Rechtsvorgängerin der) Klägerin war im Jahre 1998 ein Kontovertrag geschlossen worden, das Konto wurde im Kontokorrent geführt. Durch Verfügungen des Beklagten war es zur (geduldeten) Überziehung des Kontos gekommen. Mit Schreiben vom 26.03.2007 hatte die Klägerin das Kreditverhältnis gekündigt und den negativen Saldo fällig gestellt. Nach fristgerechtem Widerspruch des Beklagten gegen den im November 2008 beantragten Mahnbescheid hat die Klägerin den angeforderten Gerichtskostenvorschuss erst im September 2015 gezahlt. Im streitigen Verfahren hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Damit hatte er (vorläufig) Erfolg.
Das AG München hat die Klage abgewiesen.
Verjährung ist nach Auffassung des AG München bereits im Jahre 2011 eingetreten. Die Regelung in § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB sei auf den Streitfall nicht anwendbar, da es sich hier nicht um Ansprüche auf Darlehensrückzahlung und Zinsen im Sinne dieser Vorschrift handele.
C. Kontext der Entscheidung
I. Die für die Verjährung relevanten Daten
Der geltend gemachte Anspruch auf Rückführung des Kontokorrentsaldos ist mit Kündigung und Fälligstellung im Jahr 2007 entstanden. Verjährung wäre demnach gemäß den §§ 195, 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 31.12.2010 eingetreten. Der Lauf der Verjährung wurde zwar durch den am 25.11.2008 eingegangenen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gehemmt, § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB i.V.m. den §§ 693, 167 ZPO. Das Verfahren war jedoch dadurch in Stillstand geraten, dass es nach erhobenem Widerspruch und Anforderung vom 09.12.2008 zur Einzahlung des weiteren Gerichtskostenvorschusses nicht weiterbetrieben worden ist. Die Hemmung der Verjährung endete somit gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB am 09.06.2009. Verjährung wäre damit mit Ablauf des 15.07.2011 eingetreten.
II. Anwendbarkeit des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB
Etwas anderes würde sich ergeben, wenn die Vorschrift des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB auf den Streitfall anwendbar wäre. Diese Vorschrift soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Regelverjährung drei Jahre beträgt, titulierte Ansprüche dagegen nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst in 30 Jahren verjähren. Um zu verhindern, dass der Darlehensgeber allein zur Vermeidung des Verjährungseintritts seine unstreitigen Forderungen titulieren lässt, sieht § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB vor, dass die Verjährung der Ansprüche des Darlehensgebers auf Darlehensrückzahlung und Zinsen vom Eintritt des Verzugs nach Abs. 1 an bis zu ihrer Feststellung in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB bezeichneten Art gehemmt ist (BT-Drs. 14/6857, S. 66). Entsprechend der Höchstfrist des § 199 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 BGB gilt allerdings eine Begrenzung der Hemmung auf zehn Jahre von der Entstehung der Ansprüche an.
Nach dem Wortlaut des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB ist der Anwendungsbereich der Norm eröffnet. Denn erfasst werden neben Zinsansprüchen „Ansprüche auf Darlehensrückzahlung“. Das Amtsgericht meint indes, im Streitfall handele es sich nicht um Ansprüche auf Darlehensrückzahlung im Sinne dieser Vorschrift. Vielmehr sei nach der Kündigung durch die Bank ein neuer Anspruch entstanden und fällig geworden, der der dreijährigen Regelverjährung nach den §§ 195, 199 BGB unterliege (so auch Derleder/Horn, ZIP 2013, 709, 710; Saenger in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 497 Rn. 45). Offenbar sieht das Amtsgericht die Besonderheit darin, dass es im Streitfall um die Rückführung eines infolge geduldeter Überziehung entstandenen negativen Kontokorrentsaldos ging. Darauf deutet jedenfalls die Bemerkung hin, „das Urteil des BGH vom 13.07.2010 – XI ZR 27/10 – NJW 2010, 2940 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar“, weil Gegenstand dort die Rückzahlung eines vertraglich eingeräumten Dispositionskredits gewesen sei. Dabei wird übersehen, dass die hier streitgegenständliche geduldete Überziehung auch zum Abschluss eines Verbraucherkreditvertrags führt. Im Falle der geduldeten Überziehung im Rahmen eines bestehenden Girovertrags kommt der Darlehensvertrag (als sog. Handdarlehen) zustande, wenn der Kontoinhaber sein Konto über den Habenstand (oder einen eingeräumten Darlehensrahmen) hinaus überzieht, damit dem Darlehensgeber ein Angebot zum Abschluss eines Darlehensvertrags macht und der Darlehensgeber dies duldet und dadurch konkludent das Angebot annimmt (Jungmann in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 81a Rn. 138; Roth in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2016, § 505 Rn. 3). Für diesen Verbraucherdarlehensvertrag gelten nach § 505 Abs. 4 BGB zwar einige Vorschriften des Verbraucherkreditrechts nicht, aber gerade § 497 BGB, die Vorschrift, auf die es hier ankommt, ist anwendbar.
Die Argumente, die im Urteil zur „Neubegründung“ des Anspruchs vorgebracht werden, sind nicht überzeugend. Ein „neuer“ oder „anderer“ Anspruch soll deshalb entstanden sein, weil die Kontokorrentabrede bis zur Kündigung und Gesamtfälligstellung eine Geltendmachung des Darlehensanspruchs ausgeschlossen hat. Zwar ist richtig, dass die im Rahmen einer Überziehungsmöglichkeit zustande gekommenen Verbraucherdarlehensverträge typischerweise durch eine Kontokorrentabrede überlagert werden. Zutreffend ist auch der Ansatz, dass mit Zustandekommen der Kontokorrentabrede die von ihr erfassten Forderungen zur Verrechnung stehen, also nicht selbstständig geltend gemacht werden können. Durch ihre Einstellung in das Kontokorrent werden Einzelforderungen „gelähmt“, sie bleiben aber existent – die Kontokorrentabrede berührt weder Bestand noch Rechtsnatur der kontokorrentgebundenen Forderungen.
Selbst wenn man der Auffassung folgt, dass mit einem Saldoanerkenntnis eine Novation einhergeht (so die Rechtsprechung vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1969 – I ZR 33/68 – NJW 1970, 560; BGH, Urt. v. 24.01.1985 – I ZR 201/82 – BGHZ 93, 307, 313; a.A. Hadding/Häuser in: MünchKomm HGB, ZahlungsV, 3. Aufl. 2014, Rn. A 230; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 25 IV 1a), hätte auch der durch eine Novation entstandene Anspruch seine rechtliche Grundlage in einem Verbraucherdarlehensvertrag. Andernfalls würde, wie Jungmann (EWiR 2016, 519) zu Recht hervorhebt, § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB bei jedem Verbraucherdarlehensvertrag in Form eines Kontokorrentratenkredits mit quartalsweisem Rechnungsabschluss alle drei Monate seines Anwendungsbereichs beraubt. Im Übrigen darf nicht aus dem Blick geraten, dass wir es gar nicht mit einem Saldoanerkenntnis zu tun haben, sondern mit einer Kündigung. Im Falle einer Kündigung passt die Annahme eines neuen Anspruchs noch weniger. Rechtsfolge der Kündigung des Darlehensvertrags durch den Darlehensgeber ist die Gesamtfälligstellung des Darlehens. Die Forderung betrifft noch immer das gewährte Darlehen, nichts neues und nichts anderes.
Soweit das Amtsgericht sein Ergebnis auf eine teleologische Auslegung des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB stützen will, weil es nicht verständlich sei, dass einem Darlehensgläubiger, der die Einhaltung der dreijährigen Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB versäume, immer noch der Hemmungstatbestand des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB zugutekommen solle, trägt diese Überlegung nicht. Wenn der Gläubiger durch einen Hemmungstatbestand davon abgehalten werden soll, wegen der drohenden Verjährung die Titulierung zu betreiben, kann ihm nicht vorgehalten werden, dass er die ihm ausdrücklich zur Verfügung gestellte Frist ausschöpft. Auch mit dem Gesichtspunkt der Verwirkung kann dem Schuldner nicht geholfen werden (so aber LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 30.09.2013 – 6 O 2832/12; zust. Schwintowski in: jurisPK-BGB, § 497 Rn. 16). Die Überlegung, dass im Anwendungsbereich des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB unter bestimmten Umständen „bereits nach Ablauf der Regelverjährung die Annahme einer Verwirkung naheliegend“ sei, läuft auf eine Aushebelung des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB hinaus, indem sie die im Verbraucherinteresse hinausgeschobene Verjährung durch den Rechtsgedanken der Verwirkung faktisch wieder auf das Maß des § 195 BGB abkürzt. Um eine Verwirkung erst gar nicht zu riskieren, wären die Banken letztlich gezwungen, den Darlehensnehmer im Falle der Kündigung nach Ablauf der dreijährigen Regelverjährung in regelmäßigen Abständen und in beweissicherer Form an die offene Restforderung zu erinnern oder – um diesen Aufwand zu vermeiden – mit Ablauf der Frist des § 195 BGB gleich zu einer gerichtlichen Geltendmachung überzugehen (OLG Nürnberg, Urt. v. 28.07.2014 – 14 U 2180/13 – WM 2014, 1953 m. Anm. Müller-Christmann, jurisPR-BKR 5/2015 Anm. 4).
Mit der herrschenden Auffassung (Schürnbrand in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 497 Rn. 33; Kessal-Wulff in: Staudinger, BGB, Bearb. 2012, § 497 Rn. 36; Nobbe in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 11. Aufl. 2016, § 497 Rn. 16), die freilich im amtsgerichtlichen Urteil keine Erwähnung findet, ist daher davon auszugehen, dass durch § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB die Verjährung des „nicht durch Erfüllung erloschenen Teils der Forderungen des Kreditgebers“ (Bülow in: Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl. 2016, § 497 Rn. 58), also auch hinsichtlich des hier streitgegenständlichen nach Kündigung entstandenen Anspruchs auf Rückführung des Saldos, gehemmt wird.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung weicht von der h.M ab und dürfte, auch weil sie nicht überzeugt, wenig Gefolgschaft finden.