Nachfolgend ein Beitrag vom 8.5.2017 von Hölken, jurisPR-InsR 9/2017 Anm. 2

Leitsatz

Durch die Neufassung von § 38 Abs. 3 Nr. 1, § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG zum 02.07.2016 ist es zu keiner Lücke in der Ahndbarkeit von Insiderhandel und Marktmanipulation gekommen.

A. Problemstellung

Der BGH hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob bei der Umsetzung der VO (EU) Nr. 596/2014 des EU-Parlaments und des Europäischen Rates vom 16.04.2014 über Marktmissbrauch (Market Abuse Regulation – MAR) in deutsches Recht durch das erste Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FiMaNoG) am 02.07.2016 eine eintägige Strafbarkeitslücke entstanden ist. Über den Lex-mitior-Grundsatz des § 2 Abs. 3 StGB hätte diese Strafbarkeitslücke zu einer umfassenden Amnestie führen können.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen der leichtfertigen Marktmanipulation zu einer Geldbuße verurteilt. Ein Nichtrevident wurde daneben wegen (vorsätzlicher) Marktmanipulation in Tateinheit mit unrichtiger Darstellung und vorsätzlichem Insiderhandel verurteilt und gegen die von ihm vertretene Nebenbeteiligte der Verfall von Wertersatz angeordnet.
Die vom Angeklagten und der Nebenbeteiligten hiergegen gerichteten, jeweils auf Sachrügen gestützten Revisionen hatten keinen Erfolg.
Das Landgericht hatte auf die im März 2007 begangenen Taten des Angeklagten die §§ 39 Abs. 2 Nr. 11, Abs. 4, 20a Abs. 1 Nr. 1 WpHG und auf die ebenfalls im März 2007 begangenen Taten des Nichtrevidenten § 331 Nr. 2 HGB, die §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 39 Abs. 2 Nr. 11, 14 Abs. 1 Nr. 1, 20a Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. in der zum Urteilszeitpunkt bis zum 01.07.2016 gültigen Fassung angewandt.
Dass das Landgericht dabei entgegen § 2 Abs. 2 und 5 StGB, § 4 Abs. 1 OWiG auf die im Zeitpunkt der Urteilsverkündung geltende Gesetzesfassung abgestellt hat, sei nach dem BGH unschädlich. Schließlich ergäben sich – bei jeweiliger Wahrung der Unrechtskontinuität – gegenüber den zur Tatzeit geltenden Fassungen der Vorschriften keine sachlich relevanten Unterschiede.
Mit Inkrafttreten des 1. FiMaNoG vom 30.06.2016 (BGBl I 1514) am 02.07.2016 verweist § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG nunmehr auf Art. 14 Buchst. a MAR. In § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG, auf den § 38 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verweist, wird auf Art. 15 MAR Bezug genommen.
Gemäß § 39 Abs. 3d Nr. 2, Art. 15, 12 Abs. 1 Buchst. c MAR ist die Tat des Angeklagten auch nach geltendem Recht eine Ordnungswidrigkeit, wobei der Bußgeldrahmen gegenüber dem zur Tatzeit geltenden Recht verschärft worden ist (vgl. § 39 Abs. 4a WpHG). Bei der Tat des Nichtrevidenten handelt es sich weiterhin um eine Straftat nach § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG, Art. 14 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 und 4, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a MAR.
Dadurch, dass die vom Landgericht zugrunde gelegten Vorschriften nur bis zum 01.07.2016 galten, die maßgeblichen Art. 14 und Art. 15 MAR nach Art. 39 Abs. 2 MAR jedoch erst ab dem 03.07.2016 unmittelbar anwendbar gewesen sind, sei es entgegen einer in der Literatur verbreiteten Ansicht nicht zu einer Ahndungslücke gekommen.
Die Abweichung des Inkrafttretens der Änderungen des WpHG (02.07.2016) vor Beginn der unmittelbaren Anwendbarkeit der maßgeblichen Bezugsnormen der MAR (03.07.2016) habe nicht zur Folge, dass die Verweisungen des WpHG auf die MAR am 02.07.2016 „ins Leere“ gegangen und Marktmanipulationen an diesem Tag nicht mit Strafe oder mit Geldbuße bedroht gewesen wären.
Vielmehr führten die Bezugnahmen in den §§ 38 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG auf Art. 14 und 15 MAR dazu, dass diese Vorschriften der Verordnung bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit ab dem 02.07.2016 durch den Bundesgesetzgeber im Inland für (mit)anwendbar erklärt wurden.
Schließlich seien die Straf- und Bußgeldvorschriften in den §§ 38, 39 WpHG als Blankettnormen ausgestaltet, und die Auslegung der verweisenden Normen des WpHG ergebe hier, dass ihre Gültigkeit nicht von derjenigen der Rechtsnormen abhängig sei, auf die verwiesen wird.
Der Gesetzgeber dürfe bei Blankettnormen auch auf nicht unmittelbar anwendbares Unionsrecht verweisen, soweit die Blankettnormen sowie die das Blankettstrafgesetz ausfüllende Vorschrift dem Bestimmtheitsgebot genügten. Das sei aber der Fall.
Da die MAR am 12.06.2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde (ABl Nr. L 173/1), seien die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich geworden.
Durch die Regelungen der Art. 14 und 15 MAR i.V.m. Art. 7, 8 und 12 MAR seien die Voraussetzungen der Ahndbarkeit des durch die §§ 38 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG erfassten Verhaltens zudem hinreichend konkret bestimmt.
Schließlich seien die Verbotsregelungen der Art. 14 und 15 MAR i.V.m. Art. 7, 8 und 12 MAR auch hinreichend transparent, so dass die ihnen unterworfenen Rechtssubjekte vorhersehen können, welches Verhalten verboten und in den §§ 38, 39 WpHG mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Insoweit sei dem Bestimmtheitsgebot genüge getan.
Zuletzt sei auch aus europarechtlicher Perspektive kein Grund ersichtlich, weshalb der deutsche Gesetzgeber die MAR nicht vor der unmittelbaren Geltung für in Deutschland anwendbar erklären durfte.

C. Kontext der Entscheidung

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass dem BGH im Ergebnis zuzustimmen ist (vgl. Hippeli, jurisPR-HaGesR 2/2017 Anm. 5; Rossi, NJW 2017, 969; Wessing/Janssen, EWiR 2017, 165, 166; Brand/Hotz, NZG 2017, 238 f. jeweils m.w.N.). Auf die Argumentationslinie des BGH trifft das allerdings nicht zu.
Durch das 1. FiMaNoG wurden die bislang durch unechte Blankettvorschriften im WpHG normierten straf- und bußgeldrechtlichen Bewehrungen kapitalmarktrechtlicher Verbote durch einen direkten Verweis auf die MAR als echte Blankettvorschriften ausgestaltet.
Mit dem Inkrafttreten des 1. FiMaNoG am 02.07.2016 ergab sich allerdings das Problem, dass die §§ 38, 39 WpHG a.F. bereits am 02.07.2016 außer Kraft getreten sind, die neuen Bezugsnormen aber erst ab dem 03.07.2016 anwendbar wurden. Zwar ist die MAR gemäß Art. 39 Abs. 1 MAR schon 2014 in Kraft getreten. Die maßgeblichen Vorschriften der MAR sind indes gemäß Art. 39 Abs. 2 MAR erst seit dem 03.07.2016 anwendbar.
Da für die Normadressaten in den Mitgliedstaaten an sich allein der Geltungsbeginn entscheidend ist, wurde in der Literatur äußerst kontrovers diskutiert, ob am 02.02.2016 eine zeitliche Lücke hinsichtlich der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndbarkeit von Insiderhandel und Marktmanipulation entstanden war, die gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 4 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 354a StPO eine Straflosigkeit von vor der Gesetzesänderung begangenen Taten zur Folge gehabt hätte (vgl. Rossi, ZIP 2016, 2437; Rothenfußer/Jäger, NJW 2016, 2689; Lorenz/Zierden, HRRS 2016, 443).
Indem der BGH entschieden hat, die Bezugsnormen in den §§ 38 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG auf Art. 14 und 15 MAR führten dazu, dass die insoweit maßgeblichen Vorschriften der MAR bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit bereits ab dem 02.07.2016 durch den Bundesgesetzgeber im Inland für (mit)anwendbar erklärt wurden (vgl. in diese Richtung Klöhn/Büttner, ZIP 2016, 1801, 1805 ff.), hat er Strafbarkeitslücken verneint und ist dieses Problem rein ergebnisorientiert umgangen.
Genauso hatte die BaFin bereits am 08.07.2016 ausgeführt, nach europäischem Recht gelten die Vorschriften der Verordnung (EU) 596/2015 (MAR) zwar ab dem 03.07.2016 unmittelbar in den Mitgliedstaaten (Art. 39 Abs. 2 MAR). Diese europarechtliche Wirkung der MAR sei allerdings unabhängig von der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die Verbotsnormen der MAR im Rahmen der Straf- und Bußgeldvorschriften des WpHG bereits am 02.07.2016 für anwendbar zu erklären (https://www.bafin.de/dok/8070858, zuletzt abgerufen am 30.03.2017).
Da die Verweisungen in den §§ 38 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG n.F. aber ausdrücklich einen Verstoß gegen die MAR selbst verlangen (Gaede, wistra 2017, 41, 43; Rothenfußer/Jäger, NJW 2016, 2689, 2691) und die maßgeblichen Vorschriften in der MAR erst am 03.07.2017 anwendbar wurden, vermag dieser Weg des BGH kaum zu überzeugen.
Vieles spricht dafür, dass der Gesetzgeber den 02.07.2016 nicht bewusst abweichend vom Anwendungszeitpunkt der MAR wählte, sondern dass das abweichende Datum auf einem gesetzgeberischen Irrtum beruhte (Rothenfußer/Jäger, NJW 2016, 2689, 2690; ausf. dazu Klöhn/Büttner, ZIP 2016, 1801, 1803). Schließlich sollten nach der Begründung des Regierungsentwurfs die Änderungen gleichzeitig mit dem in MAR und MAD II bestimmten Geltungsbeginn in Kraft treten (BT-Drs. 18/7482, S. 80).
Im Regierungsentwurf zum 2. FiMaNoG wurde dieses Problem schließlich erkannt und bereits eine Lösung vorgeschlagen.
So sollte mit einer Übergangsvorschrift in § 51 WpHG Rechtssicherheit für Straftaten nach § 38 WpHG und Ordnungswidrigkeiten nach § 39 WpHG, die unter Geltung der §§ 38, 39 WpHG in der bis zum Ablauf des 01.07.2016 geltenden Fassung begangen wurden, in der Weise hergestellt werden, indem für diese Verstöße ausdrücklich das Tatzeitrecht für anwendbar erklärt wird (BT-Drs. 18/10936, S. 218).
Auch wenn der BGH mit seinem Beschluss eine Generalamnestie im Kapitalmarktrecht verhindert hat, wäre es eleganter gewesen, die Selbstkorrektur des Gesetzgebers abzuwarten, statt mit einer Entscheidung die gesetzgeberische Korrektur vorwegzunehmen. Vor dem Hintergrund, dass die Legitimation staatlicher Strafe gemäß Art. 103 Abs. 2 GG unter dem Parlamentsvorbehalt steht, wäre dieser Weg auch verfassungsrechtlich geboten gewesen (Rossi, NJW 2017, 969).
Abzuwarten bleibt, ob das BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen werden wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Hätte der BGH umgekehrt entschieden, dass die Gesetzesänderung das zuvor sanktionierte Verhalten auch nur für einen einzelnen Tag am 02.02.2016 sanktionslos gestellt hat, hätten nach dem im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Lex-mitior-Grundsatz (§ 2 Abs. 3 StGB, § 4 Abs. 3 OWiG) Gesetzesverstöße in wichtigen Bereichen des Kapitalmarktrechts aus der Zeit vor dem 03.07.2016 nicht mehr verfolgt werden können. Zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken ist der Beschluss daher von erheblicher praktischer Bedeutung.