Nachfolgend ein Beitrag vom 30.10.2018 von Hippeli, jurisPR-HaGesR 10/2018 Anm. 5
Orientierungssätze
1. Für die Aufklärung eines Anlegers über die Risiken einer Anlage reicht es nicht aus, wenn lediglich ein Hinweis erfolgt, dass der Emissionsprospekt von einer bestimmten Homepage heruntergeladen werden kann.
2. Der Umstand, dass der Anleger den Prospekt nicht heruntergeladen und gelesen hat, begründet auch nicht den Vorwurf des Mitverschuldens.
A. Problemstellung
Bekanntermaßen muss ein Anleger, der eine Fondsbeteiligung erwirbt, über alle wesentlichen Umstände der Anlage (darunter auch alle Risiken) aufgeklärt werden. Ausreichend ist es dabei schon, wenn ihm vor der Zeichnung und damit dem Beitritt zum als Publikumspersonengesellschaft ausgestalteten Fonds ein Emissionsprospekt übergeben oder durch Zusendung/Einwurf zugänglich gemacht wird, in welchem dies alles niedergelegt ist. Was aber, wenn diese frühzeitige Übergabe vor Zeichnung/Beitritt scheitert, der Anleger sich aber den Emissionsprospekt online hätte downloaden können?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Vorliegend ging es um den Emissionsprospekt bezüglich der Beteiligung an einem Schiffsfonds in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Kläger war ein Anleger, die Beklagte agierte als Gründungsgesellschafterin, Treuhandkommanditistin sowie Prospektherausgeberin. Der Kläger verlangte von der Beklagten Schadensersatz wegen Prospektfehlern und Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei Zeichnung. Dabei berief er sich insbesondere darauf, dass er den Emissionsprospekt nicht schon vor Zeichnung der Beteiligung erhalten habe und somit keine Kenntnis von den Risiken habe erlangen können.
Die von der Beklagten ins Feld geführte Möglichkeit des jederzeitigen Downloads des Emissionsprospekts durch den Kläger sei in diesem Zusammenhang nicht ausreichend. Auch habe er auf die gebotene Aufklärung jedenfalls nicht verzichtet.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Anders nun das OLG Hamburg, das die Klage für überwiegend begründet erachtet hat.
Die Beklagte hafte zunächst grundsätzlich in ihrer Eigenschaft als Gründungsgesellschafterin. Insoweit bestehe dann ein Anspruch aus Prospekthaftung i.w.S.
Die Beklagte habe auch ihre Aufklärungspflicht hinsichtlich der Anlage verletzt, indem sie den Kläger nicht über alle wesentlichen Umstände und über die Risiken der Anlage, insbesondere über das Totalverlustrisiko, aufgeklärt habe. Denn der Kläger habe den zur Aufklärung an sich verwendbaren Emissionsprospekt in Papierform erst nach Zeichnung/Beitritt per Post erhalten.
Aus der bereits vor Zeichnung/Beitritt des Klägers vorhandenen Möglichkeit zum Download des Emissionsprospekts lasse sich keine erfolgte Aufklärung des Klägers über alle wesentliche Umstände und die Risiken der Anlage herleiten, zumal der Emissionsprospekt dann auch nicht als zugegangen anzusehen sei. Insoweit sei erforderlich, dass der Emissionsprospekt im Rahmen des Downloads abgespeichert oder ausgedruckt werde, so dass der Anleger ihn inhaltlich zur Kenntnis nehmen kann. Vorliegend gebe es jedenfalls keinen Anhalt für eine tatsächliche Kenntnisnahme des Klägers infolge eines Downloads. Weder die klägerische Empfangsbestätigung für den Emissionsprospekt bei Zeichnung noch die Unterschrift des Klägers auf dem Zeichnungsschein mit Blick auf eine Gelegenheit zur Kenntnisnahme sämtlicher Dokumente könnten dies belegen. Denn insoweit sei dies entweder auf den Emissionsprospekt in Papierform zugeschnitten oder eröffne lediglich die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme. Auch die beklagtenseits angeführten weiteren Indizien seien nicht geeignet, die tatsächliche Kenntnisnahme des Emissionsprospekts durch den Kläger zu belegen. Ebenfalls könne aus den Gesamtumständen heraus kein Aufklärungsverzicht seitens des Klägers angenommen werden.
Der im Jahr 2008 entstandene Anspruch sei zum Zeitpunkt der Klagerhebung Ende 2013 auch noch nicht verjährt gewesen. Insoweit liege keine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Tatsachen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vor. Denn die Zeichnung/der Beitritt ohne das Lesen des maßgeblichen Emissionsprospekts stelle kein Verschulden gegen sich selbst dar. Im Vordergrund stehe schließlich, dass der Anleger den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen seines Beraters oder Vermittlers, die dieser in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht beimisst. Demgegenüber trete die Bedeutung der Kenntnisnahme des Emissionsprospekts deutlich zurück. Zudem müsse der Anleger den Emissionsprospekt nach der einmal getroffenen Anlageentscheidung sowieso nicht mehr durchlesen. Ein dringender Anlass, den Emissionsprospekt gleichwohl noch hiernach lesen zu müssen, sei zudem vorliegend nicht erkennbar.
C. Kontext der Entscheidung
Eine Entscheidung, die zwar auf der Linie der BGH-Rechtsprechung liegt, leider aber wie diese nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist, so dass sie Anlass für ein kritisches Nachdenken im Sinne eines alsbaldigen Einläutens einer Rechtsprechungsänderung liefert.
Derzeit sieht die Beratung/Aufklärung anhand der Verwendung des Emissionsprospekts wie folgt aus: Grundsätzlich reicht es aus, wenn anstelle der mündlichen Erläuterungen ein Emissionsprospekt ausgehändigt wird, der seinerseits nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln (BGH, Urt. v. 12.07.2007 – III ZR 145/06 – WM 2007, 1608; BGH, Urt. v. 24.04.2014 – III ZR 389/12 – NZG 2014, 904, 905; Grüneberg, Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen, 2017, S. 38). Der Emissionsprospekt muss dabei rechtzeitig vor dem Treffen der Anlageentscheidung übergeben werden (BGH, Urt. v. 11.05.2006 – III ZR 205/05 – NJW-RR 2006, 1345, 1346; BGH, Urt. v. 06.12.2012 – III ZR 66/12 – BKR 2013, 70, 71; BGH, Urt. v. 24.04.2014 – III ZR 389/12 – NZG 2014, 904, 905). Was genau mit „vor dem Treffen der Anlageentscheidung“ gemeint ist, ist dabei eine Sache des Einzelfalls und kann regelmäßig eine Zeitspanne von einem Tag bis zwei Wochen zuvor abdecken (Grüneberg, Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen, S. 39), wobei die Übergabe des Prospekts im unmittelbaren zeitlich vorgelagerten Zusammenhang mit Zeichnung/Beitritt dann wohl nicht mehr ausreichen wird (BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 – NJW 2012, 2427, 2429). Entscheidend ist jedenfalls, dass der Anleger sich mit der Anlagenentscheidung intensiv befassen und dabei den Inhalt des Emissionsprospekts umfassend berücksichtigen kann. Bei rechtzeitiger Übergabe darf erwartet werden, dass der Anleger den Emissionsprospekt ausführlich und sorgfältig liest (BGH, Urt. v. 31.03.1992 – XI ZR 70/91 – NJW-RR 1992, 879, 881; BGH, Urt. v. 26.02.2013 – XI ZR 345/10 – BKR 2013, 283, 286), hiernach muss er ihn nicht mehr lesen (BGH, Urt. v. 08.05. 2012 – XI ZR 262/10 – NJW 2012, 2427, 2429).
Die Downloadmöglichkeit vor Zeichnung/Beitritt reicht dem OLG Hamburg nach nun also nicht aus, um sämtlichen Aufklärungspflichten dem Anleger gegenüber zu genügen. Die Vorinstanz hatte genau das Gegenteil für richtig befunden: Das Landgericht stellte insoweit fest, dass der Kläger per Schreiben zweimal und mit Angabe einer optisch gut sichtbaren Internetadresse auf den Standort des abrufbaren Emissionsprospekts hingewiesen wurde, da der Emissionsprospekt in Papierform erst ab einer bestimmten Kalenderwoche versandt werden könne (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 19.08.2014 – 333 O 216/13). Erfolge die Zeichnung/der Beitritt in so einem Fall bei im Übrigen auch nachgewiesener Downloadmöglichkeit seit vier Tagen, ohne dass auf den Zugang in Papierform zugewartet wird, könne es nicht mehr auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Prospektinhalts ankommen (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 19.08.2014 – 333 O 216/13). Diese Ansicht des Landgerichts überzeugt. Es ist im Jahr 2017/2018 schlicht lebensfremd und nicht mehr zeitgemäß, alleine auf die Übergabe des Emissionsprospekts in Papierform abzustellen und die Downloadmöglichkeit aus dem Internet bei klarem Hinweis auf die maßgebliche Internetadresse völlig zu ignorieren (so im Ansatz auch Nobbe, WM 2013, 193, 198). In einem so speziellen Fall wie vorliegend kann eben auch erwartet werden, dass der potenzielle Anleger den Emissionsprospekt vorab downloadet und ihn dann auf Basis des verkörperten Textes sorgfältig liest. Dies auch gerade vor dem Hintergrund, dass mittlerweile nahezu jeder Haushalt über einen festen Internetanschluss bzw. ein Notebook oder ein Smartphone mit Internetzugriff verfügt.
Konsequent zum Absatz zuvor und entgegen dem Oberlandesgericht ist dem Kläger vorliegend auch der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu machen. Entscheidend bei der Frage hiernach ist im Zusammenhang mit Prospekthaftung i.w.S. in der Tat, welches Maß an Eigenverantwortung vom Anleger in der spezifischen Anlagesituation erwartet werden kann (vgl. Grothe in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2015, § 199 Rn. 33). Daran gemessen ist es vorliegend befremdlich, dass der Kläger weder auf das avisierte Eintreffen des Emissionsprospekts wartete noch einen Download des Emissionsprospekts vornahm, obwohl zweimal ein gesonderter Hinweis erfolgte. Es mag in diesem Kontext stimmen, dass Prospekthinweise der Lebenserfahrung nach nicht unbedingt ursächlich sind für das Treffen einer Anlageentscheidung und das Vertrauen auf die Korrektheit der Angaben des Anlageberaters bzw. -vermittlers höher zu bewerten ist (vgl. BGH, Urt. v. 22.07.2010 – III ZR 203/09 – NJW-RR 2010, 1623, 1624; Zoller, Die Haftung bei Kapitalanlagen, 3. Aufl. 2016, S. 275). Dennoch bleibt ein schaler Beigeschmack, einen solchen überbordenden Schutz hat schließlich kein Anleger verdient (so bereits Hippeli, jurisPR-HaGesR 10/2017 Anm. 4 zu BGH, Urt. v. 20.07.2017 – III ZR 296/15 – NJW 2017, 3367, im Kontext von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
D. Auswirkungen für die Praxis
Auswirkungen für die Praxis sind insoweit vorhanden, als dass die Rechtsprechung gerade bei extremen Sondersituationen wie vorliegend dringend darüber nachdenken sollte, ob im Einzelfall nicht auch der seitens des Anlegers ausnahmsweise gebotene Download eines Emissionsprospekts ausreichen kann, um Aufklärungspflichten zu genügen.
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