Nachfolgend ein Beitrag vom 20.6.2017 von Wittmann, jurisPR-BKR 6/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Nach Eintragung des zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre gefassten Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister und dem hierdurch bewirkten Übergang der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär verbriefen über diese Aktien ausgegebene Aktienurkunden den vollen Barabfindungsanspruch des früheren Minderheitsaktionärs einschließlich einer etwaigen Differenz zwischen der vom Hauptaktionär festgelegten und der in einem nachfolgenden Spruchverfahren ermittelten (höheren) Barabfindung.
2. Die Verbriefung des Anspruchs auf Barabfindung endet gemäß § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG mit der Aushändigung der Aktienurkunde an den Hauptaktionär, die jedenfalls dann angenommen werden kann, wenn die Aktienurkunde dem Hauptaktionär zum Zweck der „Einlösung“ – im Hinblick auf die bereits gewährte oder im Gegenzug zu gewährende Barabfindung – übergeben wird. In diesem Fall kann eine Aushändigung i.S.v. § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG auch dann anzunehmen sein, wenn der Hauptaktionär die ihm übergebene Aktie in eindeutig entwerteter Form zurückgibt.

A. Problemstellung

Beim aktienrechtlichen Squeeze Out nach §§ 327a ff. AktG gehen mit der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister alle Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär über. Eventuell ausgegebene Aktienurkunden verbriefen gemäß § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG ab der Eintragung des Übertragungsbeschlusses und bis zu ihrer Aushändigung an den Hauptaktionär nur den Anspruch auf Barabfindung. Sind Aktienurkunden ausgegeben worden und hat sich der ausgeschlossene Minderheitsaktionär zuvor durch Vorlage seiner Aktienurkunde legitimiert, stellt sich die Frage, wie eine Legitimation zu erfolgen hat, wenn die Barabfindung im Rahmen eines im Anschluss an den Squeeze Out erfolgten Spruchverfahrens erhöht worden ist. Insbesondere stellt sich die Frage, ob eine Aktienurkunde, die bereits zur Legitimation zum Erhalt der Barabfindung genutzt worden ist, später auch zur Legitimation hinsichtlich des Erhöhungsbetrages der Barabfindung im Anschluss an ein Spruchverfahren dienen kann, wenn diese Aktienurkunde nach Erhalt der ursprünglich beschlossenen Barabfindung mit einem Entwertungsvermerk versehen worden ist.
Das vorliegend besprochene Urteil des II. Zivilsenats des BGH befasst sich mit der Frage, ob eine Aktienurkunde auch nach der Aushändigung an den Hauptaktionär zum Zwecke der Gewährung der Barabfindung einen Anspruch auf (erhöhte) Barabfindung verbrieft, wenn diese Aktienurkunde mit einem Entwertungsvermerk versehen dem Minderheitsaktionär zurückgegeben wurde bzw. auf andere Weise erneut in den Verkehr gebracht wurde.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Auf Antrag eines Hauptaktionärs beschloss die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft den Ausschluss der Minderheitsaktionäre dieser Aktiengesellschaft gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung gemäß § 327a AktG (sog. aktienrechtlicher Squeeze Out). Im Anschluss an die Eintragung dieses Squeeze Out-Beschlusses in das Handelsregister wurde ein Spruchverfahren durchgeführt. Dieses Spruchverfahren wurde mit einem Vergleich beendet, der eine Erhöhung der Barabfindung vorsah.
Die Klägerin ist Inhaberin von 13 auf den Inhaber ausgestellten Aktienurkunden dieser Aktiengesellschaft. Sämtliche ihrer Aktien tragen auf der Rückseite den Vermerk „UNGÜLTIG wegen Squeeze-out Barabfindung erhalten“. Solche Aktien der Aktiengesellschaft werden mittlerweile auch im Internet als Sammlerstücke gehandelt. Die Aktien der Klägerin stammen aus dem Nachlass ihres zwischenzeitlich verstorbenen Ehegatten, dessen Alleinerbin sie ist. Wie die Aktien in den Besitz ihres Ehegatten gelangt sind, weiß die Klägerin nicht. Insbesondere hat die Klägerin keine Kenntnis, ob ihr verstorbener Ehegatte zum Kreis der ehemaligen Minderheitsaktionäre gehörte. Sie verlangt gleichwohl von der Beklagten Zahlung des Erhöhungsbetrages für 13 Aktien Zug um Zug gegen Übergabe der in ihrem Besitz befindlichen 13 Aktien. Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Berechtigung sei bereits deshalb hinreichend nachgewiesen, weil sie sich im Besitz dieser 13 als ungültig gestempelten Aktien befinde. Das LG Koblenz hatte der Klage zunächst stattgegeben (Urt. v. 23.12.2014 – 4 HKO 52/14). Im Berufungsverfahren vor dem OLG Koblenz wurde die Klage jedoch abgewiesen (OLG Koblenz, Urt. v. 10.09.2015 – 6 U 58/15).
Der BGH hat die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Berufungsgerichts zurückgewiesen und dabei die Begründung der Vorinstanz überwiegend bestätigt.
Zunächst hat der BGH nochmals – mit Verweis auf sein Urteil vom 22.03.2011 (II ZR 229/09) – klargestellt, dass der Barabfindungsanspruch der Minderheitsaktionäre mit der Eintragung des Übertragungsbeschlusses entsteht und auch die Mitgliedschaften („Aktien“) der Minderheitsaktionäre kraft Gesetzes auf den Hauptaktionär übergehen. Der BGH hat an dieser Stelle subtil daran erinnert, dass der Gesetzgeber dem Begriff der Aktie mehrere Bedeutungen beigemessen hat. Erstens bezeichnet der Begriff der Aktie einen Bruchteil des Grundkapitals. Zweitens versteht man unter Aktie die Mitgliedschaft in der Gesellschaft, also die Gesamtheit der Rechte und Pflichten, die einem einzelnen Aktionär infolge seiner Beteiligung an der Gesellschaft zustehen. Drittens bezeichnet der Begriff der Aktie auch das Wertpapier, das diese Mitgliedschaftsrechte verkörpert (vgl. hierzu nur Heider in: MünchKomm AktG, 4. Aufl. 2016, § 1 Rn. 99 f.; Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 1 Rn. 13; Lutter in: Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn. 31). Die dritte Bedeutung des Aktienbegriffs dürfte diejenige sein, die im allgemeinen Sprachgebrauch dominiert.
Sodann hat der II. Zivilsenat des BGH betont, dass das Eigentum an den Aktienurkunden, anders als die Mitgliedschaftsrechte der Minderheitsaktionäre, nicht automatisch mit der Eintragung des Squeeze Out-Beschlusses auf den Hauptaktionär übergeht. Vielmehr bedarf es eines weiteren Vorgangs zur Übertragung des Eigentums. Offengelassen hat der BGH, ob die Eigentumsübertragung erst durch Aushändigung an den Hauptaktionär erfolgt, oder aber bereits durch Zahlung der Barabfindung. Richtigerweise muss eine sachenrechtliche Übertragung verlangt werden. Jedenfalls aber verkörpert das Wertpapier ab der Eintragung des Beschlusses im Handelsregister nur noch den Anspruch der Minderheitsaktionäre auf Barabfindung, und keine Mitgliedschaftsrechte mehr, vgl. § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG. In Abweichung vom Berufungsgericht hat der BGH zutreffend klargestellt, dass die Aktienurkunden den vollen Barabfindungsanspruch verbriefen, also auch einen etwaigen Erhöhungsbetrag.
Der BGH hat weiter ausgeführt, dass ausgegebene Aktienurkunden den Barabfindungsanspruch gemäß § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG jedoch nur so lange verbriefen, bis sie an den Hauptaktionär ausgehändigt werden. Eine Aushändigung in diesem Sinne liegt nach zutreffender Ansicht des BGH jedenfalls dann vor, wenn die Aktienurkunden an den Hauptaktionär zum Zwecke des Erhalts der zu gewährenden Barabfindung übergeben werden und die Übergabe gerade nicht einem lediglich vorübergehenden Zweck, etwa einer Verwahrung oder Verpfändung, dient. Der BGH hat klargestellt, dass eine Aushändigung i.S.v. § 327e Abs. 2 Satz 2 AktG nicht erfordert, dass der Hauptaktionär die Aktienurkunden einbehält, sondern auch schon dann vorliegt, wenn Aktienurkunden zum Erhalt der Barabfindung und zur Entwertung vorgelegt werden – was im zugrunde liegenden Rechtsstreit unstreitig der Fall war.
In dem hier besprochenen Urteil hat der BGH differenzierend darauf hingewiesen, dass eine Aushändigung i.S.v. § 327e Abs. 2 Satz 2 AktG allerdings dann nicht vorliegt, wenn Aktienurkunden von Minderheitsaktionären dem Hauptaktionär mit dem Hinweis vorgelegt werden, dass die Barabfindung nicht angemessen sei und daher lediglich eine Teilleistung darstellt. Lässt sich der Hauptaktionär darauf ein und zahlt die Barabfindung lediglich als Teilleistung, verbleibt das Eigentum an der Aktienurkunde bei dem Minderheitsaktionär und die Aktienurkunde verkörpert weiterhin den Anspruch auf einen etwaigen Erhöhungsbetrag. Eine Pflicht des Hauptaktionärs zur Bewirkung der Barabfindung als Teilleistung besteht allerdings nicht. Erbringt er die Barabfindung lediglich als Teilleistung, sollte der Hauptaktionär unbedingt einen Teilzahlungsvermerk auf der Aktienurkunde anbringen – was vom Minderheitsaktionär auch geduldet werden muss.
Der BGH hat in seiner Entscheidung betont, dass, wenn eine Aushändigung erfolgt ist, die Aktienurkunden keinen Anspruch auf Barabfindung oder erhöhte Barabfindung mehr verkörpern. Offen gelassen hat der BGH jedoch, welchen Erklärungsinhalt diese Aktienurkunden nach der Eigentumsübertragung auf den Hauptaktionär haben.
Der vorliegend aufgebrachte Vermerk machte nach Ansicht des BGH jedenfalls deutlich, dass eine Aushändigung der Aktien erfolgt ist und die Aktien damit nicht mehr einen Anspruch auf Barabfindung bzw. den im Rahmen des Spruchverfahrens bestimmten Erhöhungsbetrag verkörpern. Die Klägerin konnte daher nicht durch bloße Vorlage der entwerteten Aktien einen Anspruch auf Zahlung des Erhöhungsbetrages nachweisen.
Der BGH hat ausgeführt, dass entwertete Aktien gleichwohl gemäß § 286 ZPO ein Beweisanzeichen dafür sein können, dass der sie Vorlegende im Zeitpunkt der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister Minderheitsaktionär war oder den Abfindungsanspruch durch Abtretung erworben hat. Ein solcher Beweiswert kommt entwerteten Aktien aber nicht mehr zu, wenn diese Aktienurkunden – wie hier – im Internet als Sammlerstücke gehandelt werden. Als Beweisanzeichen könnte dann allenfalls noch ein Vermerk bzw. eine Quittierung auf der Aktie dienen, woraus sich ergibt, welche bestimmte Person diese Aktie zum Erhalt der Barabfindung ausgehändigt hat.
Die 13 im Besitz der Klägerin befindlichen Aktien konnten vorliegend mithin keinen Anspruch auf Zahlung der Erhöhungsbetrages belegen. Mangels weiterer Anhaltspunkte dafür, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Zeitpunkt der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister Minderheitsaktionär war, hatte die Revision der Klägerin keinen Erfolg.

C. Kontext der Entscheidung

Die Frage der Legitimationswirkung von entwerteten Aktienurkunden für die Geltendmachung des Anspruchs auf Barabfindung gemäß § 327e Abs. 3 Satz 2 AktG fand bisher wenig Beachtung. Dies ist sicherlich auch auf den klaren Wortlaut der Norm zurückzuführen, der gerade besagt, dass Aktienurkunden nur „bis zu ihrer Aushändigung“ den Anspruch auf Barabfindung verbriefen. Dennoch hat das LG Koblenz der hier zugrunde liegenden Klage erstinstanzlich stattgegeben (Urt. v. 23.12.2014 – 4 HKO 52/14). Das Landgericht war der Ansicht, die 13 von der Klägerin vorgelegten Urkunden verbrieften als Inhaberaktien den Anspruch auf Abfindung. Der Stempel „UNGÜLTIG wegen Squeeze-out Barabfindung erhalten“ bedeute nur, dass der die Urkunde einliefernde Aktionär die durch die Hauptversammlung festgesetzte Barabfindung erhalten habe. Damit habe aber nicht eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung ausgeschlossen werden sollen, da ansonsten die Gesellschaft die Urkunden in Besitz genommen und behalten hätte. Nach Ansicht des Landgerichts erschließt sich nicht, dass nur derjenige den in der Aktienurkunde verbrieften Anspruch auf Barabfindung geltend machen können soll, der im Zeitpunkt des Squeeze Outs selbst Inhaber der Aktie gewesen ist; dies widerspreche dem Charakter der Aktienurkunde als Inhaberpapier. Das Landgericht war daher der Ansicht, dass die Klägerin als Inhaber der Aktienurkunde einen Anspruch auf Auszahlung des Erhöhungsbetrages habe.
Der Begründungsansatz des Landgerichts kann nicht überzeugen. Es übersieht zunächst, dass eine Aushändigung der Aktienurkunden zum Erhalt der Barabfindung nicht ausschließt, dass im Anschluss daran eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung durchgeführt werden kann. Vielmehr ist es Minderheitsaktionären unbenommen, zunächst Aktienurkunden auszuhändigen, um die beschlossene Barabfindung zu erhalten und später darüber hinaus einen möglicherweise gerichtlich festgelegten Erhöhungsbetrag zu verlangen bzw. sogar selbst eine gerichtliche Überprüfung zu initiieren. Minderheitsaktionäre, die ihre Aktien bereits ausgehändigt haben, müssen dann lediglich auf andere Art und Weise nachweisen, dass sie im Zeitpunkt der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister Minderheitsaktionär waren.
Es ist kein Punkt ersichtlich, der die Auffassung des Landgerichts stützen könnte, ein am Wortlaut der Norm orientierter Entwertungsvermerk auf der Aktienurkunde erfasse nur einen Teil des normierten Anspruchs. Auch den weitergehenden neuen Erklärungsgehalt lässt das Landgericht unberücksichtigt. Der Farbstempel „UNGÜLTIG“ hätte dem Landgericht bereits deutlich machen müssen, dass zum einen eine Aushändigung erfolgt ist, und zum anderen im Anschluss daran eine der stärksten Formen der Inbesitznahme erfolgt ist, nämlich die Zerstörung der ursprünglichen Aktienurkunde durch Aufbringung eines Entwertungsstempels.
Zutreffend haben das OLG Koblenz und der BGH daher die Klage abgewiesen und sind den Rechtsansichten des LG Koblenz in den erheblichen Aspekten entgegengetreten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der aktienrechtliche Squeeze Out hält zahlreiche Fallstricke für Hauptaktionäre bereit. Insofern ist die vorliegende BGH-Entscheidung zu begrüßen, weil sie weitere Rechtssicherheit schafft und potentielle Unklarheiten beseitigt.
Die erstinstanzliche Entscheidung des LG Koblenz hatte zu Verunsicherungen in der Praxis geführt. Hauptaktionäre haben überwiegend davon abgesehen, Aktienurkunden, die ihnen zum Erhalt der Barabfindung ausgehändigt worden sind, zu entwerten und wieder in den Verkehr zu bringen. Nicht nur für den Sammlermarkt war dies bedauerlich, sondern auch für zahlreiche Minderheitsaktionäre, für die ein Ausschluss nicht selten auch emotionale Bedeutung hat – etwa und im Besonderen, wenn es sich um Belegschaftsaktionäre handelt. Nach der vorliegenden Entscheidung des BGH ist dies nun wieder möglich.
Minderheitsaktionären ist zu raten, dass sie sich nach Aushändigung ihrer Aktienurkunde zum Erhalt der Barabfindung diese Aushändigung quittieren lassen. Diese Quittung kann dann wiederum als Nachweis dienen, dass der Inhaber der Quittung Minderheitsaktionär war. Sofern im Anschluss an die beschlossene Barabfindung ein erhöhter Barabfindungsbetrag gerichtlich festgelegt wird, sollte der Hauptaktionär, der aufgrund der Vorlage einer solchen Quittung einen Erhöhungsbetrag leistet, darauf achten, auch die vorgelegte Quittung entsprechend zu „entwerten“ bzw. mit dem Hinweis zu versehen, dass auch der Erhöhungsbetrag gezahlt worden ist, um dadurch der Quittung einen entsprechenden Beweiswert zu nehmen.