Nachfolgend ein Beitrag vom 21.8.2018 von Schnauder, jurisPR-BKR 8/2018 Anm. 1
A. Verwerfung einer AGB-Standardregelung
Über viele Jahrzehnte hinweg wurde in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Aufrechnungsbefugnis des Schuldners auf Fälle der unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen beschränkt. Die Regelung gilt – von der Rechtsprechung unbeanstandet – in vielen Branchen wie z.B. in der Bau- und Versicherungswirtschaft, beim Werklieferungs- und beim Kaufvertrag ebenso wie im Transport-, Gewerbe- und Wohnraummietrecht. Seit einigen Jahren wird die Wirksamkeit solcher Klauseln vor allem im Werkvertrags- und Architektenrecht vom VII. Zivilsenat des BGH mit dem Argument in Zweifel gezogen, das vertragliche Synallagma der aufrechenbaren Ansprüche dürfe durch das grundsätzliche Aufrechnungsverbot nicht außer Kraft gesetzt werden.
Dem hier zu besprechenden, zum Abdruck in der Entscheidungssammlung BGHZ vorgesehenen Urteil des XI. Zivilsenats des BGH vom 20.03.20181, das in einem Verbandsverfahren nach § 1 UklG ergangen ist, lag die Klausel Nr. 11 Abs. 1 der AGB-Sparkassen (inhaltsgleich ist Nr. 4 AGB-Banken) zur Beurteilung vor. Der XI. Zivilsenat hält – in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung – die Bestimmung im Verkehr mit Verbrauchern für unwirksam, obwohl sie § 309 Nr. 3 BGB wortwörtlich abbildet. Der BGH begründet seine Entscheidung ausschließlich damit, dass die Klausel das gesetzliche Recht des Verbrauchers zum Widerruf seiner Vertragserklärung bei Abschluss eines Verbraucherkreditvertrages beeinträchtige. Das Rezensionsurteil hat beträchtliche Folgen für die AGB der Kreditwirtschaft und darüber hinaus für die auch anderen Verbraucherverträgen unterlegten Klauselwerke, die eine Beschränkung der Aufrechnungsbefugnis von Verbrauchern vorsehen, denen das Gesetz ein Widerrufsrecht einräumt.
B. Der Rechtsfall: BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16
Gegenstand der Inhaltskontrolle war die Klausel, welche die Aufrechnung von Kundenforderungen gegen eine Sparkasse nur gestattete, wenn diese unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sind. Der klagende Verbraucherschutzverband meinte, die Klausel sei sowohl inhaltlich unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) als auch intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Landgericht hat der Unterlassungsklage stattgegeben2, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen.3
Die zugelassene Revision führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entgegen dem Berufungsurteil, das unter Anführung der von der Rechtsprechung entwickelten Ausübungskontrolle der beanstandeten Klausel die Kontrollfähigkeit abgesprochen hatte, bejahte der BGH die Kontrollfähigkeit schon deshalb, weil sie sowohl von § 387 BGB (der keine Einschränkungen der Aufrechnung kennt) als auch von den §§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357a BGB (bezüglich der Rechtsfolgen des Widerrufs von Verbraucherverträgen über Finanzdienstleistungen) abweiche. Der hiernach eröffneten Inhaltskontrolle halte die Klausel nicht stand, da sie „mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird“ (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), nicht in Deckung zu bringen sei. An der abweichenden früheren Senatsrechtsprechung, die im Schrifttum weite Zustimmung gefunden habe, halte der XI. Zivilsenat nach erneuter Überprüfung nicht mehr fest. Ungeachtet des § 309 Nr. 3 BGB, an dem die Beklagte im Streitfall Maß genommen habe, folge die Unangemessenheit der Klausel aus der kumulativ anwendbaren Vorschrift des § 307 BGB. Maßgeblich sei insoweit § 361 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach zum Nachteil des Verbrauchers nicht von den gesetzlichen Regelungen über die Rechtsfolgen des Widerrufs (§§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357a BGB) abgewichen werden dürfe.
Da die offen formulierte Klausel auch Forderungen des Verbrauchers aus dem Rückabwicklungsverhältnis nach Widerruf erfasse, mit denen er gegen Ansprüche der Bank aufrechnen könne, liege darin „eine unzulässige Erschwerung des Widerrufsrechts“. Ohne Möglichkeit zur Aufrechnung sei der Verbraucher gezwungen, selbst aktiv den Klageweg zu beschreiten und den hierfür erforderlichen Gerichtskostenvorschuss zu zahlen. Ebenso verweise das Aufrechnungsverbot den Verbraucher zur Verteidigung gegen eine vom Darlehensgeber verfolgte Klage auf die Erhebung einer Widerklage (auf die Rückzahlung der geleisteten Darlehensraten). Ohne Aufrechnung sei es dem Verbraucher auch unmöglich, durch die rückwirkende (§ 389 BGB) Tilgung der Hauptforderung den Anfall von Verzugs- und Prozesszinsen zu begrenzen. Diese Auswirkungen der angefochtenen Klausel könnten den Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufsrechts abhalten. Daraus ergebe sich eine unangemessene Benachteiligung des Kunden.
C. Der Kontext der höchstrichterlichen Rechtsprechung
Entsprechend der weiten Verbreitung der Aufrechnungsklausel haben sich bislang verschiedene Zivilsenate des BGH mit ihr befasst. Überwiegend blieb das Aufrechnungsverbot innerhalb der Grenzlinie des § 309 Nr. 3 BGB unbeanstandet. Allerdings hat der VII. Zivilsenat des BGH die Wirksamkeit der seit Jahrzehnten verwendeten Bestimmung im Rahmen der Inhaltskontrolle verneint (I.). Dem ist im Ergebnis der XI. Zivilsenat des BGH gefolgt, der gleichfalls die früher von ihm für wirksam gehaltene Klausel in Nr. 11 AGB-Sparkassen und Nr. 4 AGB-Banken „nach erneuter Überprüfung“4 nunmehr verwirft (II.).
I. Bestandsaufnahme
Überwiegend werden nach bisheriger Rechtsprechung formularmäßige Aufrechnungsbeschränkungen, die sich an die Vorgabe des § 309 Nr. 3 BGB halten, für rechtlich unbedenklich gehalten; eine Ausnahme ist lediglich in der Baubranche zu vermerken.
1. Konkurrenz der gesetzlichen Klauselverbote
Gemeinsamer Ausgangspunkt der AGB-rechtlichen Prüfung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) war ursprünglich die Überlegung, dass zahlungsunwillige und/oder zahlungsunfähige Schuldner es nicht in der Hand haben sollten, gegen Forderungen des Gläubigers mit unbegründeten oder fingierten Gegenforderungen aufzurechnen, um sich ihrer Zahlungsverpflichtung zu entziehen. Daraus rechtfertigen sich Grund und Grenze des formularmäßigen Aufrechnungsverbots. Nach der Rechtsprechung war bei Würdigung der beteiligten Gläubiger- und Schuldnerinteressen ein Aufrechnungsverbot nicht mehr geboten, wenn die Gegenforderung nicht bestritten oder sogar rechtskräftig festgestellt ist.5 Dieser Interessenbewertung ist dann auch der Gesetzgeber in § 309 Nr. 3 BGB gefolgt. Daraus ergibt sich der Grundsatz, dass Aufrechnungsverbote, die sich an diese Vorgabe halten, wirksam sind.6 Denn das Klauselverbot des § 309 Nr. 3 BGB spiegelt ein allgemeines Grundverständnis von Treu und Glauben wieder.7
Diese Norm stellt jedoch keine abschließende Regelung über die Zulässigkeit formularmäßiger Aufrechnungsverbote dar. Vielmehr gibt § 309 Nr. 3 BGB nur das Mindestmaß vor, so dass die Unwirksamkeit einer Aufrechnungsbeschränkung sich noch aus dem Gesichtspunkt der unangemessenen Benachteiligung des Klauselgegners ergeben kann, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Als Parameter der Angemessenheitsprüfung kommen dabei in Betracht die konkrete Vertragsart, die typischerweise damit einhergehenden Parteiinteressen, die Anschauungen der betroffenen Verkehrskreise und die Wertung der Gesamtrechtsordnung im Übrigen.8
2. Rechtsprechungspraxis
Während der BGH bislang im Frachtrecht (I. Zivilsenat)9, im Wohnraummietrecht (VIII. Zivilsenat)10 und im gewerblichen Mietrecht (XII. Zivilsenat)11 die Klausel aufgrund ihrer Konformität mit § 309 Nr. 3 BGB für wirksam hält, nimmt der für das Bau- und Architektenrecht zuständige VII. Zivilsenat des BGH seit geraumer Zeit eine unangemessene Beeinträchtigung des Klauselgegners gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (= § 9 Abs. 1 AGBG a.F.) an, wenn die Aufrechnungsklausel nicht hinreichend differenziere und auf diese Weise die sich gegenüberstehenden Vertragsansprüche aus dem Synallagma löse. Die Klausel lasse die besondere, vom Gesetzgeber grundsätzlich anerkannte Schutzbedürftigkeit des Werkbestellers außer Acht, wenn sie zu einer Vergütungspflicht des Bestellers führe, obwohl der Klauselverwender aufgrund mangelhafter Leistung seinerseits aus dem Vertrag zu Ersatzleistungen verpflichtet sein könne. Daher müsse die Aufrechnung mit Gegenforderungen aus demselben Vertragsverhältnis (ebenso wie die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 320 BGB, vgl. § 309 Nr. 2a BGB) jederzeit möglich und der Erlass eines Vorbehaltsurteils nach § 302 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen sein.12
Der VII. Zivilsenat des BGH erkennt damit im Rahmen der Angemessenheitskontrolle eine Abweichung von wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes darin, dass das Aufrechnungsverbot in die vertragliche Äquivalenz von Leistungs- und Gegenleistungspflichten zum Nachteil des Klauselgegners eingreift.13 Die Begründung leuchtet ein. Denn der Austauschzweck liegt nicht nur der Begründung der entgeltlichen Schuldverträge des BGB zugrunde (genetisches Synallagma)14, sondern er wirkt auch auf der Ebene der Erfüllung der vertraglichen Primär-Leistungspflichten im sog. funktionellen Synallagma fort.15 Danach ist und bleibt die Wirksamkeit des Vertrags nicht nur in seiner Entstehung, sondern auch in seinem Fortbestand von der Erreichung des Austauschzwecks abhängig.16 Dieser vertragskonsensuale Kontext, der die gesetzliche Struktur der (kausalen) Versprechensverträge prägt, soll formularmäßig nicht aufgelöst werden können, wenn dadurch für den Klauselgegner (Werkbesteller, Auftraggeber) eine Schutzlücke entsteht.
Eben dies bejaht der VII. Zivilsenat des BGH aufgrund der Besonderheiten in der Baubranche, wenn über die beiderseitigen Verpflichtungen des Werk- oder Architektenvertrages wegen des Aufrechnungsverbots nicht einheitlich entschieden werden kann.17 Das stünde nicht in Einklang mit der generellen Schutzbedürftigkeit des Werkbestellers, der der Gesetzgeber in mehrfacher Hinsicht Rechnung trage, so z.B. durch die Vorleistungspflicht des Unternehmers oder die von der Abnahme des Bestellers abhängige Fälligkeit des Vergütungsanspruchs (wegen Abschlagszahlungen vgl. § 632a BGB). Der Gesetzgeber ist bestrebt, den Auftraggeber vor dem Risiko der Unternehmerinsolvenz zu schützen. Daher wird das formularmäßige Aufrechnungsverbot, soweit es einer einheitlichen Prozessentscheidung im Wege steht, vom Baurechtssenat des BGH nicht anerkannt.18
II. Die Aufrechnungsbeschränkung im Bankrecht
Der XI. Zivilsenat des BGH konnte für seine Wertung, die von den Sparkassen (Banken) den Bankgeschäften unterlegte Aufrechnungsklausel verstoße gegen das Verbot der unangemessenen Benachteiligung des Klauselgegners, nicht auf den Gedanken der Auflösung des Synallagmas der wechselbezüglichen Leistungsversprechen abstellen. Das verbot sich schon wegen der Heterogenität der von der Klausel erfassten Bankgeschäfte, die außer Darlehensverträgen Geschäftsbesorgungsverträge aller Art (z.B. Wertpapiergeschäfte, Anlageempfehlungen), Mietverträge (Schließfächer) und Kaufverträge (Festpreisgeschäft über Wertpapiere) u.a. zum Gegenstand haben können.
1. Abkehr von der bisherigen Rechtsprechungslinie
Der XI. Zivilsenat des BGH hat vielmehr den Stab über die Aufrechnungsklausel allein aus dem Grund gebrochen, weil das offen formulierte Aufrechnungsverbot im Rechtsverkehr mit Verbrauchern Anwendung findet und deshalb auch Forderungen von Verbrauchern aus einem Rückabwicklungsverhältnis nach Ausübung des gesetzlichen Widerrufsrechts erfasst. Der gesetzliche Verbraucherschutz veranlasst den BGH zur Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gültigkeit der angegriffenen Vertragsklausel.
In jahrzehntelanger Rechtsprechung hat das bankrechtliche Aufrechnungsverbot bis zu der vorliegenden Entscheidung der höchstrichterlichen Inhaltskontrolle (im Individualprozess) standgehalten.19 Für den unternehmerischen Verkehr bestätigte der XI. Zivilsenat des BGH vor kurzem noch die bisherige Linie im Zusammenhang mit Vertragserfüllungsbürgschaften, die undifferenziert einen formularmäßigen Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit durch den Bürgen vorsehen, auch wenn es sich um unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderungen des Hauptschuldners gegen den Gläubiger handelt.20
Demgegenüber deutete sich die Abkehr des XI. Zivilsenats von seiner Rechtsprechung für den Verkehr mit Verbrauchern schon durch die apodiktische Bemerkung in seinem Urteil vom 25.04.201721 an, in der Vereinbarung einer Aufrechnungsbeschränkung liege eine zulasten des Verbrauchers unzulässige Erschwerung des Widerrufsrechts. Auf diesen seinerzeit von den Rezensenten kaum beachteten Rechtssatz22 nimmt der BGH in dem vorliegenden Besprechungsurteil23 Bezug und holt jetzt die Begründung nach.24 Der für den XI. Zivilsenat letztlich ausschlaggebende Grund für das Verbotsurteil spielte jedoch im gesamten Verbandsprozess keine Rolle. Denn der Kläger stützte sein Unterlassungsbegehren allein auf das Vorbringen, die angegriffene Klausel lasse einerseits nicht erkennen, dass die Aufrechnungsbeschränkung bei einer zur Aufrechnung gestellten entscheidungsreifen Gegenforderung unbeachtlich sei, und sie stelle andererseits außerdem nicht klar, dass der Verbraucher gemäß § 215 BGB auch mit bereits verjährten Forderungen aufrechnen könne.
Im Hinblick auf den vom Kläger vorgetragenen Angriff erweist sich die Begründung des Urteils daher durchaus als Überraschungsentscheidung, deren Tragweite jedoch dem eigentlichen Angriffsziel der Klage nicht entspricht. Über die Rechtsauffassung der klagenden Partei ist nicht entschieden worden. Insbesondere blieb offen25, ob ein Verstoß der Klausel gegen das Transparenzgebot26 vorliegt. Damit steht nicht fest, ob der XI. Zivilsenat des BGH an seiner noch vor Einführung des gesetzlichen Widerrufsrechts für Verbraucher begründeten Rechtsprechung zur Aufrechnungsklausel generell nicht mehr festhalten will, wie das allerdings der Obersatz in Rn. 16 des Urteils insinuiert.
2. Inhalts- oder Ausübungskontrolle
Der XI. Zivilsenat des BGH gelangt bei der an § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB orientierten Inhaltskontrolle zu der Auffassung, die angegriffene Aufrechnungsbeschränkung weiche von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung über die Rechtsfolgen des Verbraucherwiderrufs (§§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357a BGB) zum Nachteil des Verbrauchers ab, weil die Klausel den widerrufenden Verbraucher die Aufrechnungsmöglichkeit im Rückabwicklungsschuldverhältnis abschneide und ihn dadurch bei der Durchsetzung seiner Rückabwicklungsansprüche behindere. Eine solche Beeinträchtigung verbiete jedoch die zugunsten des Verbrauchers halbzwingende Vorschrift des § 361 Abs. 2 Satz 1 BGB.
a) Überdehnung des Verbraucherschutzes
Nach § 361 Abs. 2 Satz 1 BGB ist jedoch nur die Abweichung zum Nachteil des Verbrauchers „von den Vorschriften dieses Untertitels“, also von den §§ 355 bis 360 BGB untersagt, die nunmehr auch das Rückabwicklungsregime nach Widerruf abschließend regeln. Über die Rückabwicklungsfolgen bestimmt § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB, dass die empfangenen Leistungen „unverzüglich“, im Falle des Widerrufs von Finanzdienstleistungsverträgen „spätestens nach 30 Tagen“ (§ 357a Abs. 1 BGB) zurückzugewähren sind. Über die Aufrechenbarkeit der wechselseitigen Rückgewähransprüche ist nichts bestimmt. Das Gesetz enthält hierzu Regelungen in den §§ 387 ff. BGB. Eine formularmäßige Aufrechnungsbeschränkung kann somit unmittelbar nur von diesen Vorschriften abweichen und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch nur hieran zu messen. Die gesetzlich normierten Rechtsfolgen des Verbraucherwiderrufs werden durch die Aufrechnungsbeschränkung nicht berührt.
Nachdem das neue Widerrufsrecht hinsichtlich der Rückgewähr der beiderseits empfangenen Leistungen nach Widerruf eine Verknüpfung der wechselseitigen Rückgewährpflichten nicht mehr (vgl. § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F., § 348 BGB entsprechend) vorsieht, kann die Klausel allenfalls zu einer mittelbaren Beeinträchtigung der Verbraucherrechte führen, die jedenfalls mit „wesentlichen“ Grundgedanken des von den §§ 355 Abs. 2 Satz 1, 357a BGB geregelten Rückabwicklungsverhältnisses nicht in Widerstreit steht.
Die gegenteilige Annahme des XI. Zivilsenats des BGH liegt ganz auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung eines proaktiven Verbraucherschutzes.27 Zur Begründung führt der BGH lediglich an, in der Versagung der Aufrechnung liege eine unzulässige Erschwerung des Widerrufsrechts, die jedenfalls durch die Interessen des Klauselverwenders nicht zu rechtfertigen sei. Allein die Vorstellung, dass ein durchschnittlicher Verbraucher durch eine Bestimmung über die Aufrechnungslage im Rückabwicklungsverhältnis im Klauselwerk der Bank, die er regelmäßig weder im Blick hat noch beachtet, von der Ausübung seines gesetzlichen Widerrufsrechts abgehalten werden könne28, hält sich doch recht weit entfernt von Rechtspraxis und Verbraucherrealität. Dem Verbraucher geht es beim Widerruf bereits beendeter Darlehensverträge nämlich allein um die Rückzahlung und Verzinsung der von ihm entrichteten Vorfälligkeitsentschädigung sowie um etwaigen Nutzungsersatz auf die geleisteten Annuitäten. Auch beim Widerruf noch laufender Darlehen steht der Verbraucher in der Rechtspraxis nicht vor der Aufrechnungsfrage, sondern in erster Linie vor dem Problem, wie er die Rechtswirksamkeit seiner Widerrufserklärung feststellen und die Freigabe der hingegebenen Sicherheiten für die erforderliche Anschlussfinanzierung erlangen könne, wenn die Bank die Wirksamkeit des Widerrufs in Abrede stellt.
b) Zur Tragfähigkeit der Entscheidungsgründe
Als sichere Grundlage für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung ist daher auf die Erfahrungstatsache zurückzugreifen, dass der durchschnittliche Verbraucher sich im Zusammenhang mit dem Widerruf seiner Vertragserklärung keine Gedanken darüber macht, ob ihm Nr. 11 AGB-Sparkassen (bzw. Nr. 4 AGB-Banken) bei der Durchsetzung seiner Rückabwicklungsansprüche hinderlich sein könne. Die vom XI. Zivilsenat des BGH angeführten Argumente aus der forensischen Praxis, nämlich die Aufbringung eines abschreckend hohen Gerichtskostenvorschusses als Kläger und die Beschränkung des (auf Rückzahlung der ganzen Darlehensvaluta) verklagten Verbrauchers auf die Erhebung einer Widerklage29, liegen zunächst ganz außerhalb der Vorstellungswelt des Verbrauchers. Sie wirken gleichermaßen konstruiert wie bemüht und können daher nicht überzeugen.
Selbstverständlich ist der widerrufende Verbraucher gezwungen, gegenüber der sich streitig stellenden Sparkasse (Bank) seine Ansprüche aus dem Rückabwicklungsverhältnis aktiv im Klageweg durchzusetzen. Er hat bei Widerruf von beendeten Verbraucherkreditverträgen, wo es ihm wirtschaftlich um den Ausgleich des zu seinen Gunsten entstehenden Abrechnungssaldos geht, ebenso wenig eine Wahl wie bei Widerruf noch laufender Darlehensverträge, wenn er die Berechtigung seines Widerrufs klären und die Freigabe der Sicherheiten erreichen will. Dass der Verbraucher als Kläger dafür einen zum Teil hohen Gerichtskostenvorschuss aufbringen muss, liegt nun ganz allein an der (m.E. verfehlten) Streitwertbestimmung durch den XI. Zivilsenat.30 Die forensische Praxis hat es hier mit einem hausgemachten zirkulären Problem zu tun, dem eine rechtlich zweifelhafte Beurteilung der materiellen Rechtslage zugrunde liegt. Denn der BGH geht unzutreffend davon aus, dass der Verbraucher neben den von ihm erbrachten Zinsen sämtliche Tilgungsleistungen zurückfordern kann (was regelmäßig zu exorbitanten Streitwerten führt), während die Rückabwicklungsansprüche der Bank ebenfalls auf die gesamte (auch bereits getilgte) Valuta nebst Zinsen gerichtet sind.31
Damit wird das Rückabwicklungsschuldverhältnis systemwidrig über die empfangenen (ausgetauschten) Vertragsleistungen hinaus ausgedehnt und auf die bereits (teilweise) erfüllte Darlehensrückzahlungsschuld (§ 362 Abs. 1 BGB) erstreckt. Die Rückzahlungsverpflichtung bezüglich der Valuta hat ihren Sitz nach zutreffender Auffassung außerhalb der Rückabwicklung der im vertraglichen Austauschverhältnis (Synallagma) stehenden Leistungen (Kapitalnutzung gegen Zinszahlung).32 Hinsichtlich der zurückgeführten Darlehenssumme ist das Schuldverhältnis zwischen Verbraucher und Bank erledigt, so dass der Verbraucher insoweit auf die Aufrechnung überhaupt nicht angewiesen ist. Folgt man der hier vertretenen materiell-rechtlichen Prämisse, geht das Argument des BGH fehl, der verklagte Verbraucher könne infolge des Aufrechnungsverbots Verzugs- und Prozesszinsen auf die Hauptforderung (Darlehensrückzahlung) nicht durch rückwirkende (389 BGB) Tilgungswirkung der Aufrechnung anteilsmäßig mindern.
Ebenso wenig überzeugt das Argument, der von der Darlehensgeberin verklagte Verbraucher sei zur Rechtsverteidigung auf die Erhebung einer Widerklage mit seinen Gegenansprüchen beschränkt. Hier hat der BGH übersehen, dass nach Verbraucherwiderruf eine Klage der Bank auf Rückzahlung der gesamten Valuta in der Gerichtspraxis nicht vorkommt, weil die Bank regelmäßig die Wirksamkeit des Widerrufs bekämpft. Der Verbraucher wird nach Widerruf vor den Instanzgerichten nicht mit „einer erheblichen Forderung des Kreditinstituts konfrontiert“, allenfalls erheben die Banken eine negative Feststellungsklage, dass das Darlehensverhältnis durch den Widerruf nicht aufgelöst worden ist. Dagegen greift ohnehin eine Aufrechnung des Verbrauchers nicht ein, eine Widerklage auf Zahlung ist ihm unbenommen.
Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung seit je her zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse bei Anwendung von AGB-Bestimmungen im Einzelfall entscheidet, dass sich der Klauselverwender nach dem Grundsatz von Treu und Glauben darauf nicht berufen darf. Insbesondere hat (auch) der XI. Zivilsenat des BGH bisher die Frage der Zulässigkeit der bankrechtlichen Aufrechnungsklausel bei Entscheidungsreife der Gegenforderung des Kunden auf der Ebene der Ausübungskontrolle beantwortet und entschieden, der Klauselverwender dürfe sich auf das Aufrechnungsverbot im konkreten Einzelfall nicht berufen.33 Entscheidungsreife ist nach bisheriger Senatsrechtsprechung bereits dann gegeben, wenn es einer Beweisaufnahme nicht bedarf.34 Das ist typischerweise gerade auch in den Widerrufsfällen zu bejahen, weil allein über Rechtsfragen im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses zu entscheiden und hierfür mangels streitiger Tatsachen regelmäßig eine Beweisaufnahme nicht erforderlich ist. Im Ergebnis hätte es der XI. Zivilsenat des BGH damit bei seiner bisherigen Rechtsprechungslinie bewenden und die angegriffene Klausel unbeanstandet lassen können. Auf diesem Weg hätte den berechtigten Interessen der Verbraucher im jeweiligen Individualprozess hinreichend Rechnung getragen werden können, ohne dass die Wirksamkeit der Aufrechnungsklausel berührt worden wäre. Schließlich ist aus der Gerichtspraxis kein Fall bekannt geworden, in dem die Bank die Unzulässigkeit der Aufrechnung des Verbrauchers mit seinen Gegenansprüchen in dem Rückabwicklungsverhältnis geltend gemacht hätte.
D. Praktische Folgen des Urteils
Unmittelbar nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe haben die Sparkassen die beanstandete Bestimmung Nr. 11 aus dem Klauselwerk gestrichen. Die Freude über den Prozesssieg auf Seiten des Klägers dürfte allerdings nur von kurzer Dauer sein, weil selbstverständlich zu erwarten steht, dass die Klausel durch eine neue Bestimmung unter Ausklammerung der Ansprüche von Verbrauchern nach Ausübung ihres gesetzlichen Widerrufsrechts ersetzt wird.
Freilich ist zu bedenken, dass der Urteilsspruch über die Kreditwirtschaft hinaus für alle Fälle Bedeutung entfaltet, in denen dem Verbraucher ein gesetzliches Widerrufsrecht eingeräumt wird, insbesondere im Bereich des E-Commerce und der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge mit Verbrauchern.
Man darf annehmen, dass die neuen AGB-Sparkassen und AGB-Banken an der Aufrechnungsbeschränkung in allen Geschäftsfeldern mit Ausnahme der Rückabwicklungsverhältnisse nach Verbraucherwiderruf festhalten werden. Ob sie dann der Inhaltskontrolle, namentlich dem im vorliegenden Verfahren vom Kläger vorgebrachten Vorwurf der Intransparenz standhalten, ist eine nicht geklärte Streitfrage.35 Zur höchstrichterlichen Klärung dieser vom XI. Zivilsenat des BGH unentschieden gelassenen Frage ist ein erneuter Prozessgang des Klägers erforderlich.
Fußnoten ausblendenFußnoten
1) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16.
2) LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 17.11.2015 – 7 O 902/15 – WM 2016, 325 m. zust. Anm. Bülow, WuB 2016, 345.
3) OLG Nürnberg, Urt. v 28.06.2016 – 3 U 2560/15 – WM 2016, 2300 m. Anm. Findeisen, WM 2016, 2286; Sambat, EWiR 2016, 549; Wollgarten, WuB 2017, 183.
4) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16 Rn. 16.
5) BGH, Urt. v. 20.06.1984 – VIII ZR 337/82 Rn. 42, 43 – BGHZ 91, 375 = NJW 1984, 2404.
6) Findeisen, WM 2016, 2286, 2288, 2292: „Indizwirkung“.
7) BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 600/16 Rn. 21 – WM 2017, 2386; BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 362/15 Rn. 32 – WM 2017, 2382, jeweils m.w.N.
8) BGH, Urt. v. 24.03.2010 – VIII ZR 178/08 Rn. 26 m.w.N. – BGHZ 185, 96 = NJW 2010, 2789.
9) BGH, Urt. v. 26.02.1987 – I ZR 110/85 Rn. 14 – WM 1987, 732; BGH, Urt. v. 14.12.1988 – I ZR 235/86 Rn. 13 – VersR 1989, 309; BGH, Urt. v. 06.05.1999 – I ZR 84/97 Rn. 16 – WM 1999, 1984, jeweils zu § 32 ADSp a.F.
10) BGH, Urt. v. 14.11.2007 – VIII ZR 337/06 – WuM 2008, 152, 153.
11) BGH, Urt. v. 06.04.2016 – XII ZR 29/15 Rn. 12 – ZIP 2016, 1783.
12) BGH, Urt. v. 23.06.2005 – VII ZR 197/03 Rn. 22 ff.- BGHZ 163, 279 = WM 2005, 1675; BGH, Urt. v. 24.11.2005 – VII ZR 304/04 Rn. 14 – BGHZ 165, 134 = NJW 2005, 698.
13) BGH, Urt. v. 07.04.2011 – VII ZR 209/07 Rn. 16 – NJW 2011, 1729 (Architektenvertrag)
14) Westermann in: Erman, BGB, 15 Aufl. 2017, Vorbem. § 320 Rn. 12; Olzen in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2015, Einl. zum Schuldrecht Rn. 69; Schwarze in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 320-326 Rn. 17 ff.
15) Westermann in: Erman, BGB, Vorbem. § 320 Rn. 13; Schwarze in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 320-326 Rn. 21.
16) Näher zur Bedeutung des Austauschzwecks bei kausalen Schuldverträgen Schnauder, JZ 2002, 1080, 1082 f., 1084 f.
17) BGH, Urt. v. 24.11.2005 – VII ZR 304/04 Rn. 14 – BGHZ 165, 134 = NJW 2006, 698; BGH, Urt. v. 07.04.2011 – VII ZR 209/07 Rn. 18 – NJW 2011, 1729.
18) Ebenso OLG Nürnberg, Urt. v. 20.08.2014 – 12 U 2119/13 Rn. 83 ff. – BauR 2014, 2104.
19) BGH, Urt. v. 17.02.1986 – II ZR 285/84 – WM 1986, 477; BGH, Urt. v. 18.06.2002 – XI ZR 160/01 Rn. 7 – WM 2002, 1654; BGH, Urt. v. 11.05.2004 – XI ZR 22/03 Rn. 8.
20) BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 600/16 Rn. 20 – XI ZR 600/16 – WM 2017, 2386; BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 362/15 Rn. 29, 31 – WM 2017, 2382 m. Anm. Müller-Christmann, jurisPR-BKR 8/2018 Anm. 3.
21) BGH, Urt. v. 25.04.2017 – XI ZR 108/16 Rn. 21 – WM 2017, 1008.
22) Vgl. aber Stackmann, NJW 2017, 2383, 2387.
23) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16.
24) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16 Rn. 19.
25) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16 Rn. 21.
26) So Bülow, WuB 2016, 345 f.
27) Vgl. zuletzt zu Widerrufsbelehrungen im Fernabsatzgeschäft Schnauder, jurisPR-BKR 1/2018 Anm. 1 unter C.II.1.
28) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16 Rn. 19.
29) BGH, Urt. v. 20.03.2018 – XI ZR 309/16 Rn. 19.
30) Seit BGH, Beschl. v. 12.01.2016 – XI ZR 366/15 – WM 2016, 454 m. kritischer Anm. Schnauder, jurisPR-BKR 5/2016 Anm. 1.
31) Seit BGH, Beschl. v. 22.09.2015 – XI ZR 116/15 – NJW 2015, 3441; zur Kritik vgl. etwa Piekenbrock, EWiR 2016, 65, 66; Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085, 1087; Kaiser in: Staudinger, BGB, Neubearb, 2012, § 357 Rn. 7, 18; Hölldampf/Suchowerskyj, WM 2015, 999, 1002; Müller/Fuchs, WM 2015, 1094; Müller-Christmann in: BeckOK-BGB, 45. Edition, Stand: 01.11.2017, § 357a Rn. 10; Schnauder, jurisPR-BKR 11/2015 Anm. 1.
32) Näher dazu Schnauder, JZ 2018, 22, 23 ff.; und bereits Schnauder, NJW 2015, 2689, 2690.
33) Vgl. bereits BGH, Urt. v. 18.06.2002 – XI ZR 160/01 Rn. 10 – WM 2002, 1654.
34) BGH, Urt. v. 18.06.2002 – XI ZR 160/01 Rn. 11 – WM 2002, 1654; vgl. schon BGH, Urt. v. 17.02.1986 – II ZR 285/84 Rn. 10.
35) Bejahend Findeisen, WM 2016, 2286, 2290 ff.; verneinend Bülow, WuB 2016, 345 f.
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