Nachfolgend ein Beitrag vom 21.8.2018 von Müller-Christmann, jurisPR-BKR 8/2018 Anm. 3
Leitsatz
Ein Bürge, dem wegen der Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB eine dauerhafte Einrede gegen den Gläubiger zustand, kann das von ihm dennoch Geleistete nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB vom Gläubiger zurückverlangen.
A. Problemstellung
Mit dieser Entscheidung bezieht der BGH Stellung in dem in der Literatur bestehenden Streit, ob dem Bürgen, der trotz Bestehens einer dauerhaften Einrede nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB an den Gläubiger aus der Bürgschaft leistet, ein Kondiktionsanspruch gegen den Gläubiger nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht oder ob er Regress beim Hauptschuldner nehmen muss. Darüber hinaus enthält das Urteil grundlegende Ausführungen zum formularmäßigen Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine Rückbürgin, begehrt aus abgetretenem Recht von dem Beklagten Erstattung von Leistungen, die aufgrund einer Gewährleistungsbürgschaft von der Bürgin erbracht wurden. Der Beklagte hatte die Hauptschuldnerin im Jahr 2004 mit Fliesen-, Abdichtungs- und Estricharbeiten an einem Schwimmbad beauftragt. Die Hauptschuldnerin hatte sich verpflichtet, zur Ablösung eines Sicherheitseinbehalts eine unbefristete selbstschuldnerische Gewährleistungsbürgschaft zu stellen, die einen Verzicht des Bürgen auf die Einreden der Anfechtung und der Aufrechnung sowie der Vorausklage gemäß den §§ 770, 771 BGB vorsehen musste. Die Bürgin hatte eine Gewährleistungsbürgschaft übernommen, die den geforderten Verzicht enthielt; die Klägerin hatte gegenüber der Bürgin eine Rückbürgschaft gestellt.
Der Beklagte nahm die Bürgin wegen mangelhafter Leistung der mittlerweile insolventen Hauptschuldnerin in Anspruch. Die Bürgin bezahlte den Bürgschaftsbetrag i.H.v. 27.480 Euro an den Beklagten und nahm bei der Klägerin als Rückbürgin Regress. Im Gegenzug trat die Bürgin ihre Ansprüche gegen den Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung infolge der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft an die Klägerin ab. Die Klägerin hat von dem Beklagten die Rückzahlung des von der Bürgin geleisteten Betrags aus abgetretenem Recht der Bürgin verlangt. Sie beruft sich auf die Unwirksamkeit der zwischen der Hauptschuldnerin und der Beklagten getroffenen Sicherungsabrede. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wurde durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen (OLG Koblenz, Beschl. v. 08.06.2015 – 5 U 1480/14).
Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.
Nach Auffassung des BGH kann ein Bürge, dem wegen der Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB eine dauerhafte Einrede gegen den Gläubiger zustehe, das von ihm dennoch Geleistete nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB vom Gläubiger zurückverlangen.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil behandelt im Wesentlichen zwei Probleme aus dem Bürgschaftsrecht: zum einen die Wirksamkeit von AGB-Klauseln in Bürgschaftsverträgen, zum anderen die Frage, inwieweit sich die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger/Bürgschaftsgläubiger auf die Position des Bürgen auswirkt. Zur Vereinfachung der Darstellung wird im Folgenden der Umstand, dass eine Rückbürgin in Anspruch genommen wurde und diese aus abgetretenem Recht der Bürgin gegen den Beklagten vorging, ausgeblendet. Die Ausführungen konzentrieren sich auf das Dreipersonenverhältnis zwischen Gläubiger, Hauptschuldner und Bürgen.
I. Anspruch des Bürgen aus § 813 BGB
Die Entscheidung behandelt zuerst die Frage, ob dem Bürgen, der trotz Bestehens einer dauerhaften Einrede nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB (zum Bestehen dieser Einrede vgl. II.) an den Gläubiger leistet, nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Kondiktionsanspruch gegen den Gläubiger zusteht. Dies ist in der Literatur umstritten (Nachweise des Meinungsstands im Besprechungsurteil Rn. 14). Nach einer Auffassung muss sich der Bürge, der trotz unwirksamer Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger leiste, mit seinem Rückgewähranspruch ausschließlich an den Hauptschuldner halten (Lorenz, JuS 1999, 1145, 1149; Tiedtke, JZ 2006, 940, 942; Madaus in: BeckOGK, Stand: 15.03.2018, § 765 BGB Rn. 14).
Die Begründung, mit der sich der XI. Zivilsenat des BGH der gegenteiligen (herrschenden) Meinung anschließt, ist überzeugend. Die Bürgschaft begründet eine von der Verpflichtung des Hauptschuldners zu unterscheidende, rechtlich selbstständige Verpflichtung. Zahlt der Bürge an den Gläubiger, leistet er zum Zwecke der Erfüllung dieser eigenen Verbindlichkeit. Aus der maßgeblichen Sicht des Gläubigers liegt deshalb regelmäßig eine Leistung des Bürgen vor. Bestand die Verpflichtung des Bürgen nicht, hat der Bürge an den Gläubiger ohne Rechtsgrund geleistet. Da der Bürgschaftsvertrag hier aber wirksam war, konnte der Bürge keinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Herausgabe der gezahlten Bürgschaftssumme haben. Das hatte auch die Vorinstanz so gesehen (OLG Koblenz, Beschl. v. 18.03.2015 – 5 U 1480/14). Allerdings war die weitere Schlussfolgerung des Oberlandesgerichts nicht zutreffend, dass sich der Bürge dann mit seinem Rückgewähranspruch allein an die Hauptschuldnerin, nicht aber an den Gläubiger, an den gezahlt wurde, halten könne. Übersehen wurde dabei § 813 BGB, wonach eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung auch dann in Betracht kommt, wenn dem Anspruch eine dauernde Einrede entgegensteht. § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB stellt die Leistung zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, der eine dauerhafte Einrede entgegensteht, der Leistung ohne Rechtsgrund nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gleich und gewährt dem Leistenden einen inhaltsgleichen Kondiktionsanspruch. Dieser steht auch dem Bürgen zu, der zur Erfüllung seiner Bürgenschuld an den Gläubiger geleistet hat, obwohl er diesem eine peremtorische Einrede hätte entgegenhalten können.
Genauer geklärt werden muss noch der Inhalt der dem Bürgen zustehenden Einrede. Es geht dabei nicht um die Einrede, die der Hauptschuldnerin gegen die Hauptforderung (also gegen den Nacherfüllungsanspruch des Beklagten aus den §§ 634 Nr. 1, 635 BGB) zusteht, sondern um eine Einrede, die ihren rechtlichen Ursprung in der Sicherungsabrede zwischen Gläubiger und Hauptschuldner hat. Wenn diese unwirksam ist, hätte der Gläubiger nicht verlangen (bzw. die Auszahlung des einbehaltenen Werklohnteils davon abhängig machen) dürfen, dass die Hauptschuldnerin eine Bürgschaft beibringt. Wegen der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede (dazu vgl. III.) stand der Hauptschuldnerin gegenüber dem Begehren des Beklagten auf Stellung der Bürgschaft die dauerhafte Einrede aus § 821 BGB bzw. nach Übernahme der Bürgschaft nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Anspruch auf deren Rückgewähr zu (BGH, Urt. v. 08.03.2001 – IX ZR 236/00 – BGHZ 147, 99, 105 m.w.N.). Darauf kann sich nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Bürgin berufen.
Dass der Bürge hier keine Einrede aus eigenem Recht geltend macht, sondern sich nach § 768 BGB auf eine Einrede des Hauptschuldners beruft, schadet nicht. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzessystematik in § 813 BGB oder § 768 BGB bieten Anhaltspunkte für eine Differenzierung danach, ob eine peremtorische Einrede des Bürgen aus eigenem oder aus dem Recht des Hauptschuldners über § 768 BGB resultiert.
Auch mit dem Einwand, die Zulassung einer Kondiktion aus § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB in diesen Fällen führe zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Bürgen (Lorenz, JuS 1999, 1145, 1149), setzt sich der BGH auseinander. Dass der Bürge nach Inanspruchnahme durch den Gläubiger wählen könne, ob er beim Hauptschuldner (nach § 670 BGB bzw. über die cessio legis aus § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB) Regress nehme oder beim Gläubiger kondiziere, bedeute keine Privilegierung des Bürgen. Dies ist zutreffend, denn die Wahlmöglichkeit folgt aus dem Umstand, dass der Bürge auch zwei Schuldverhältnisse eingegangen ist, nämlich eines mit dem Hauptschuldner in Form des der Bürgschaftsstellung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts und eines mit dem Gläubiger in Form der Bürgschaft selbst, und sich aus beiden im Falle der unberechtigten Inanspruchnahme nach dem Gesetz Ansprüche ergeben, die aber nur einmal geltend gemacht werden können.
II. Verzicht auf Einrede der Aufrechenbarkeit
Die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB ist eine Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes (BGH, Urt. v. 19.09.1985 – III ZR 214/83 – BGHZ 95, 350). Der meist uneigennützig handelnde Bürge soll grundsätzlich erst dann in Anspruch genommen werden können, wenn sich der Gläubiger nicht durch Inanspruchnahme des Hauptschuldners, etwa durch Aufrechnung, befriedigen kann. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 16.01.2003 – IX ZR 171/00 – BGHZ 153, 293, 299 f., BGH, Urt. v. 14.10.2003 – XI ZR 121/02 – BGHZ 156, 302, 310 und BGH, Urt. v. 15.01.2004 – IX ZR 152/00 – WM 2004, 720, 723) ist ein formularmäßiger Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und benachteiligt den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn davon auch unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderungen des Hauptschuldners umfasst werden.
Der formularmäßige Ausschluss der Einrede des Bürgen gemäß § 770 Abs. 2 BGB ist vergleichbar der – durch § 309 Nr. 3 BGB verbotenen – Bestimmung, die dem Vertragspartner des Verwenders die Befugnis nimmt, mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung aufzurechnen. Dementsprechend lässt der formularmäßige generelle Ausschluss der vergleichbaren Einrede des Bürgen gemäß § 770 Abs. 2 BGB eine angemessene Berücksichtigung seiner Interessen vermissen. Diese Bestimmung mutet es eher dem Gläubiger zu, sich durch Aufrechnung mit der verbürgten Forderung von der eigenen Schuld zu befreien, als dem Bürgen, durch Leistung auf die verbürgte Forderung des Gläubigers dem Hauptschuldner dessen Forderung zu erhalten. Das gesetzlich geschützte Interesse des Bürgen, den Gläubiger auf die Aufrechnungsmöglichkeit zu verweisen, wird nicht durch dessen Interesse aufgewogen, sich die Gegenforderung des Hauptschuldners als anderweitige Sicherheit dienen zu lassen (BGH, Urt. v. 16.01.2003 – IX ZR 171/00 – BGHZ 153, 293). Allerdings räumt das Gesetz in § 770 Abs. 2 BGB dem Bürgen nur eine schwache Rechtsposition ein. Sein Recht endet, wenn und soweit der Gläubiger die Gegenforderung erfüllt oder der Hauptschuldner auf sie verzichtet oder mit ihr gegen eine andere Forderung des Gläubigers aufrechnet. Das rechtfertigt es aber nicht, die Stellung des Bürgen noch weiter zu schwächen.
III. Unwirksamkeit der Sicherungsabrede
Die Überlegungen zur Unwirksamkeit einer Klausel, die einen Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Aufrechenbarkeit beinhaltet, müssen eingebunden werden in das hier vorliegende Dreipersonenverhältnis. In Erinnerung zu rufen ist die Ausgangslage, wonach der Bürge einen Bereicherungsanspruch aus § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen den Gläubiger geltend macht und diesen auf das Bestehen einer dauerhaften Einrede nach § 768 BGB stützt. Eine Einrede steht dem Hauptschuldner zu, weil in der Verpflichtung, den Sicherheitseinbehalt für Mängelansprüche nur durch eine formularmäßige selbstschuldnerische Bürgschaft abzulösen, in der auf die Einrede der Aufrechenbarkeit nach § 770 Abs. 2 BGB verzichtet wird, eine unangemessene Benachteiligung liegt. Eine Sicherungsabrede, die dem Auftragnehmer auferlegt, zur Ablösung eines Gewährleistungseinbehalts eine Bürgschaft mit einem gegenüber dem Bürgen unzulässigen Regelungsinhalt (Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit) zu stellen, benachteiligt ihrerseits den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist damit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein in einem Vertrag über Bauleistungen formularmäßig vereinbarter Sicherungseinbehalt dann nicht zu beanstanden, wenn ein fairer Ausgleich dafür vorgesehen ist, dass der Unternehmer den Werklohn nicht sofort ausgezahlt erhält, das Bonitätsrisiko des Bestellers für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen muss und ihm die Verzinsung des Werklohns vorenthalten wird (BGH, Urt. v. 05.06.1997 – VII ZR 324/95 – BGHZ 136, 27, 31 f.; BGH, Urt. v. 13.11.2003 – VII ZR 57/02 – BGHZ 157, 29, 31 f.; BGH, Beschl. v. 24.05.2007 – VII ZR 210/06 Rn. 6 – WM 2007, 1625). Ausreichend ist es danach, dem Werkunternehmer das Recht einzuräumen, den Einbehalt durch Stellung einer selbstschuldnerischen, unbefristeten Bürgschaft abzulösen (BGH, Urt. v. 26.02.2004 – VII ZR 247/02 – WM 2004, 718). Nach diesen Maßstäben stellt die Ablösungsmöglichkeit durch eine formularmäßige Bürgschaft, die den uneingeschränkten Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit aus § 770 Abs. 2 BGB enthalten muss, keinen angemessenen Ausgleich für die Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts dar. Denn damit verlangt der Auftraggeber die Ablösung durch eine Bürgschaft, die der Auftragnehmer nicht wirksam stellen kann, weil diese einen gegenüber dem Bürgen unzulässigen Regelungsinhalt hätte. Hat der Bürge die Haftung übernommen, obwohl die zugrunde liegende Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger unwirksam ist, so kann er sich gegenüber einem Leistungsverlangen des Gläubigers dauerhaft auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede und damit auf die Einrede des Hauptschuldners berufen, dass der Gläubiger die Inanspruchnahme des Bürgen zu unterlassen hat. Das folgt aus dem Akzessorietätsgrundsatz, der sicherstellen soll, dass der Bürge nicht mehr zu leisten hat als der Hauptschuldner.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung klärt zwei wichtige Fragen des Bürgschaftsrechts. Ob die Ausführungen zu dem Anspruch aus § 813 BGB die Vertreter der Gegenauffassung überzeugen, wird abzuwarten sein. Endgültig geklärt dürfte das Problem des formularmäßigen Ausschlusses der Einrede der Aufrechenbarkeit sein. In diesen Zusammenhang ist ein weiteres Urteil des XI. Zivilsenats vom gleichen Tag zu stellen (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 600/16 – WM 2017, 2386), in dem ebenfalls eingehend begründet wird, dass ein formularmäßiger Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn davon auch unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderungen des Hauptschuldners erfasst werden.
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