Nachfolgend ein Beitrag vom 17.1.2017 von Müller-Christmann, jurisPR-BKR 1/2017 Anm. 3

Leitsatz

Zur Frage der Aufklärungspflicht über das Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB in einem Anlageprospekt, der die Beteiligung an einem geschlossen Immobilienfonds zum Gegenstand hat (Bestätigung und Fortführung des Senatsurt. v. 04.12.2014 – III ZR 82/14 – WM 2015, 68).

A. Problemstellung

Der Vorwurf, nicht über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung aufgeklärt worden zu sein, gehört zum Standardrepertoire von Klagen geschädigter Fondsanleger. Dabei geht es in der Regel um die Frage, ob die im Prospekt enthaltenen Angaben das Risiko vollständig und verständlich schildern – so auch im vorliegenden Fall, in dem der III. Zivilsenat des BGH seine Rechtsprechung bestätigt und fortführt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Auf Empfehlung des für die Beklagte tätigen Zeugen N. zeichnete der Kläger im August 1996 eine Beteiligung als Kommanditist an einem geschlossenen Immobilienfonds mit einer (Haft-)Einlage von 50.000 DM. Der von (der Rechtsvorgängerin) der Streithelferin der Beklagten herausgegebene Emissionsprospekt enthält folgende Hinweise:
Fungibilität
Grundsätzlich sollte die Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds langfristig ausgerichtet sein. Der Verkauf einer Fondsbeteiligung ist prinzipiell jederzeit möglich. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Handel mit Kommanditeinlagen nicht institutionalisiert ist. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass Kaufinteresse durch Zweiterwerber besteht, dies insbesondere dann, wenn die Steigerung der Ausschüttungen einsetzt.
Die G. AG [Rechtsvorgängerin der Streithelferin] ist bereit, bei einer Veräußerung von Anteilen vermittelnd mitzuwirken. Es wurde für die Replazierung von Anteilen ein Zweitmarkt installiert. Bisher konnten alle Verkaufswünsche befriedigt werden.
Haftung der Zeichner
Über die im Handelsregister eingetragene Einlage (+ 5% Agio) hinaus keine Haftung, auch keine persönliche Hypothekenhaftung (Zu den gesetzlichen Einschränkungen und Besonderheiten s. auch S. 23 u. 28).
Ausschüttung
… Die Ausschüttungen sind, auch wenn sie zu einem ‚negativen Kapitalkonto‘ führen würden, nicht nach § 15a Abs. 3 EStG steuerpflichtig, da durch die Ausschüttung die Haftung der Kommanditisten nach § 172 Abs. 4 HGB wieder auflebt (höchstens jedoch bis zur Höhe der im Handelsregister eingetragenen Haftsumme).
Gesellschaftsvertrag
…Die Haftung des Kommanditisten ist auf seine Einlage beschränkt, eine Nachschußpflicht besteht nicht. Unbeschadet hiervon gilt die Vorschrift des § 172 Abs. 4 HGB (vgl. § 6 des Gesellschaftsvertrags und Seite 23 ‚Ausschüttungen‘).
§ 6 [des Gesellschaftsvertrags] Keine Nachschusspflicht
Die Kommanditisten übernehmen weder gegenüber Gesellschaftern noch gegenüber Dritten irgendwelche Zahlungsverpflichtungen, Haftungs- oder Nachschußverpflichtungen, die über die Verpflichtung zur Leistung der in der Beitrittserklärung vereinbarten Pflichteinlage hinausgehen.… Der vertragliche Ausschluss einer Nachschußpflicht lässt die gesetzliche Regelung über die Haftung der Kommanditisten gegenüber den Gesellschaftsgläubigern nach §§ 171 ff. HGB unberührt.“
Aufgrund sinkender Mieteinnahmen kam es ab 1999 zu einer allmählichen Reduzierung und schließlich ab 2006 zu einer Einstellung der Ausschüttungen.
Der Kläger verlangt – jeweils Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus seiner Gesellschaftsbeteiligung – Freistellung von den Verbindlichkeiten aus und im Zusammenhang mit seiner Gesellschaftsbeteiligung sowie Zahlung von 34.315,99 Euro nebst Zinsen. Er hat u.a. geltend gemacht, nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, dass jährliche Ausschüttungen als vorzeitige Kapitalrückzahlung gewertet würden mit der Folge des Wiederauflebens der Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB. Ebenso wenig sei er auf die eingeschränkte Fungibilität der Fondsbeteiligung hingewiesen worden. Die Beklagte ist den Beratungsfehlervorwürfen des Klägers im Einzelnen entgegengetreten und hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Ersturteil abgeändert und der Klage – mit Ausnahme entgangenen Gewinns – stattgegeben. Eine Aufklärungspflichtverletzung liege jedenfalls im Hinblick auf das Risiko eines Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB vor. Der Prospekt enthalte zwar an zwei Stellen Hinweise auf das Risiko aus § 172 Abs. 4 HGB. Diese seien jedoch aus sich heraus bzw. im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Text nicht verständlich, zumal in den „Risikohinweisen“ auf Seite 18 des Prospekts auf ein etwaiges Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung nicht eingegangen werde.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erreichte die Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.
Im Gegensatz zum Berufungsgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihre aus dem Beratungsvertrag folgende Pflicht zur Aufklärung über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung (§ 172 Abs. 4 HGB) nicht verletzt hat. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Prospektinhalts werde der durchschnittlich gebildete, gehörig aufmerksame und verständige Anleger durch die Hinweise hinreichend darüber aufgeklärt, dass er Ausschüttungen unter Umständen bis zur Höhe seiner Hafteinlage wieder zurückzahlen müsse. Zum anderen sei von einem verständigen Anleger zu erwarten, dass er den Prospektinhalt hinsichtlich der haftungsrechtlichen Auswirkungen der Ausschüttungen und des Umfangs der Kommanditistenhaftung sowie den im Prospekt abgedruckten Gesellschaftsvertrag sorgfältig zur Kenntnis nehme und ggf. Nachfragen stelle.

C. Kontext der Entscheidung

I. Aufklärungspflicht über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB
Nachdem der III. Zivilsenat des BGH in der im Leitsatz genannten Entscheidung (BGH, Urt. v. 04.12.2014 – III ZR 82/14 – WM 2015, 68, m. Anm. Nasall, jurisPR-BGHZivilR 4/2015 Anm. 2) eine Aufklärungspflicht des Anlageberaters im Hinblick auf das Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB selbst für den Fall bejaht hatte, dass das Risiko auf 10% des Anlagebetrags begrenzt ist, war klar, dass er auch im vorliegenden Fall eine Aufklärungspflicht annehmen würde. Dass es zu den Pflichten eines Anlageberaters gehört, über das Risiko aufzuklären, dass die Kommanditistenhaftung der Anleger trotz vollständig erbrachter Einlageleistung unter den Voraussetzungen des § 172 Abs. 4 HGB wieder auflebt, ist allgemein anerkannt. Die Verpflichtung liegt darin begründet, dass die an den Anleger erfolgte Auszahlung durch den Fonds nicht sicher ist, sondern ggf. zurückgezahlt werden muss. Die wieder auflebende Kommanditistenhaftung hat erhebliche Auswirkungen auf die prognostizierte Rendite, die nachträglich entfallen oder verringert werden kann. Die Renditeerwartung ist für den Anleger regelmäßig ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Anlage und damit ein Umstand, über den er „rechtzeitig, richtig und sorgfältig sowie verständlich und vollständig“ zu unterrichten ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 24.04.2014 – III ZR 389/12 – NJW-RR 2014, 1075 Rn. 9).
II. Aufklärung durch Prospektmaterial
Eine derartige Aufklärung kann auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötige Information wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann (BGH, Urt. v. 14.04.2011 – III ZR 27/10 – NJW-RR 2011, 1139 Rn. 7; BGH, Urt. v. 24.04.2014 – III ZR 389/12 – NJW-RR 2014, 1075 Rn. 9). Für die Beurteilung, ob ein Prospekt unrichtig oder unvollständig ist, ist auf das Gesamtbild abzustellen, das er dem verständigen Anleger unter Berücksichtigung der von ihm zu fordernden sorgfältigen und eingehenden Lektüre vermittelt (BGH, Urt. v. 05.03.2013 – II ZR 252/11 – WM 2013, 734 Rn. 14; BGH, Urt. v. 20.06.2013 – III ZR 293/12 Rn. 12). Der Senat legt im Einzelnen und ausführlich dar, an welchen Stellen im Prospekt auf das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung hingewiesen wird. So ist gleich zu Beginn in dem Kapitel über die wichtigsten Fakten des Fonds unter der Überschrift „Haftung der Zeichner“ der Hinweis enthalten, dass die Anleger zwar über die im Handelsregister eingetragene Einlage hinaus nicht hafteten, sich jedoch aus dem Gesetz Einschränkungen und Besonderheiten ergeben könnten. Insoweit wird auf die Lektüre der Seiten 23 und 28 verwiesen. Weiter wird in dem Kapitel über die steuerlichen Grundlagen (S. 22 ff.) unter der Überschrift „Ausschüttungen“ erläutert, dass die Ausschüttungen an die Gesellschafter aus Liquiditätsüberschüssen finanziert würden, die sich aus der Differenz zwischen den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen einerseits und den laufenden Ausgaben andererseits ergäben. Die Auffassung, auch dem in wirtschaftlichen Dingen nicht erfahrenen, jedoch hinreichend aufmerksamen Anlageinteressenten müsste sich erschließen, dass es sich bei diesen Liquiditätsüberschüssen nicht um Gewinne der Gesellschaft handelt, wird bei „Anlegeranwälten“ auf Kritik stoßen. Allerdings ist im Prospekt noch an anderer Stelle ausgeführt, dass Liquiditätsüberschüsse nicht mit dem Gewinn identisch sind. So wird erläutert, dass zur Ermittlung des Gewinns von dem Liquiditätsüberschuss unter anderem die Abschreibung, Werbungs- sowie Instandhaltungskosten in Abzug zu bringen seien. Ferner wird in dem Kapitel „Ausschüttungen“ der Hinweis gegeben, dass es infolge der Ausschüttungen zu einem „negativen Kapitalkonto“ bei den Gesellschaftern kommen könne und „durch die Ausschüttung die Haftung des Kommanditisten nach § 172 Abs. 4 HGB wieder auflebt“ mit der Folge, dass die Ausschüttung nicht als Gewinn versteuert werden müsse. Ergänzend wird auf § 6 des Gesellschaftsvertrags verwiesen und zugleich (erneut) hervorgehoben, dass die Haftung des Kommanditisten zwar auf seine Einlage beschränkt sei und keine Nachschusspflicht bestehe, die Vorschrift des § 172 Abs. 4 HGB jedoch „unbeschadet hiervon“ gelte. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Prospektinhalts kann deshalb nach Auffassung des Senats nicht zweifelhaft sein, dass der durchschnittlich gebildete, gehörig aufmerksame und verständige Anleger durch diese Hinweise hinreichend über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung aufgeklärt wird, weil ihm verdeutlicht wird, dass er Ausschüttungen unter Umständen bis zur Höhe seiner Hafteinlage wieder zurückzahlen muss. Wenn einerseits Ausschüttungen in Aussicht gestellt werden und gleichzeitig erläutert wird, dass diese aus der Liquidität, also nicht aus erwirtschafteten Gewinnen stammen, und wenn andererseits – zur Erhöhung der Attraktivität der Anlage – steuerliche Verluste gewollt sind, dann erschließt sich jedem verständigen Anleger, dass die Ausschüttungen – jedenfalls für die Startphase, aber auch bei Ausbleiben des erwarteten wirtschaftlichen Erfolgs des Projekts – zulasten der Deckung der Hafteinlage gehen und deshalb die Haftung des Kommanditisten wieder aufleben kann. Dieses Haftungsrisiko wird in dem Prospekt dem Anleger jedenfalls im Kern hinreichend deutlich vor Augen geführt. Eine weitergehende (abstrakte) Erläuterung der Haftung aus § 172 Abs. 4 HGB war nicht geboten. Wie Lechner (WuB 2016, 329) in einer Anmerkung zu dieser Entscheidung nachweist, hat der III. Zivilsenat des BGH in dieser Hinsicht früher gelegentlich strengere Anforderungen gestellt.
III. Keine Entwertung der Prospektangaben durch mündliche Äußerungen
In einem solchen Fall muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die im Prospekt erfolgte hinreichende Darstellung (insbesondere) der Risiken und Chancen der Anlage durch Angaben des Beraters entwertet worden ist. Denn der ordnungsgemäße Prospektinhalt ist – wie der BGH immer wieder betont – für den Berater „kein Freibrief“, Risiken abweichend hiervon darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt leerlaufen lässt oder in ihrer Bedeutung für die Anlageentscheidung mindert (BGH, Urt. v. 19.11.2009 – III ZR 169/08 – BKR 2010, 118 Rn. 24; BGH, Urt. v. 24.04.2014 – III ZR 389/12 – NJW-RR 2014, 1075 Rn. 23). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Zeuge jedoch keine über den Prospektinhalt hinausgehenden Angaben gemacht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Erfolgschancen der auf den Vorwurf der mangelnden Aufklärung über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung gestützten Klagen dürften nicht (mehr) gut sein. Zum einen sind die Prospekte in dieser Hinsicht im Laufe der Zeit „besser“ geworden, zum anderen lässt der BGH bei der Beurteilung von Prospektfehlern inzwischen eine gewisse Großzügigkeit walten (so die Einschätzung des früheren Vorsitzenden des III. Zivilsenats Schlick in einem Überblick über die Rechtsprechung des III. Zivilsenats des BGH in WM 2016, 193, 195).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Zum wiederholten Male äußert sich der III. Zivilsenat des BGH zur Aufklärung über die mangelnde Fungibilität einer Fondsbeteiligung. Auch hier bleibt er seiner Linie treu und verweist auf seine inzwischen gefestigte Rechtsprechung. Danach ist ein Anlageberater grundsätzlich gehalten, den Interessenten, dem er zu einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds rät, darauf hinzuweisen, dass die Veräußerung eines solchen Anteils in Ermangelung eines entsprechenden Markts nur eingeschränkt möglich ist. Die praktisch fehlende Aussicht, eine KG-Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds zu angemessenen Bedingungen verkaufen zu können, ist ein Umstand, der für die Anlageentscheidung eines durchschnittlichen Anlegers von erheblicher Bedeutung ist. Die Hinweise in Fondsprospekten zur Veräußerbarkeit der Anteile (Fungibilität) sind häufig in der Tendenz eher verharmlosend. Meistens – so auch hier – wird der entsprechende Abschnitt in dem Prospekt mit der Feststellung eingeleitet, dass der Gesellschaftsanteil jederzeit veräußerlich sei. Dies ist zutreffend, wenn es als Information darüber verstanden werden kann, dass rechtliche oder gesellschaftsvertragliche Hindernisse einer Veräußerung des Gesellschaftsanteils nicht entgegenstehen. Wenn danach erläutert wird, dass sich praktische Schwierigkeiten bei der Veräußerung ergeben wegen des Fehlens eines geregelten An- und Verkaufsmarkts für Anteile an geschlossenen Fonds, wird dem Anleger verdeutlicht, dass es grundsätzlich ihm obliegt, einen Käufer zu finden, der für die Beteiligung einen angemessenen Preis zahlt. Diese zutreffende Information wird in vielen Fondsprospekten mit dem Zusatz versehen, dass der Geschäftsbesorger seine Unterstützung bei etwaigen Verkaufswünschen anbietet. Nach der Rechtsprechung, die in der vorliegenden Entscheidung bestätigt wird, stellt dies noch keine unzulässige Einschränkung des zuvor erfolgten Hinweises auf die praktischen Schwierigkeiten der Veräußerung dar (BGH, Urt. v. 20.06.2013 – III ZR 293/12).